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COVID-19 und disruptive Innovation

COVID-19 und disruptive Innovation

  • Flexibles Arbeiten verhindere Innovation lautet eine oft wiederholte Kritik am Homeoffice
  • Doch das stimmt nicht: Wir stehen vor einer Phase disruptiver Innovation
  • Neue Formen des Arbeitens werden auch unser Stadtbild und unsere Gesellschaft verändern

Als Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Januar ein „Recht auf Homeoffice“ ankündigte, stiegen die Arbeitgeberverbände reflexhaft auf die Barrikaden.

Eines der kraftvollsten Argumente gegen flexibles Arbeiten ist seit je her, dass nur persönliche Interaktion Innovationen hervorbringen könne: Innovation sei ein sozialer Prozess und durch einen Bildschirm nicht zu ersetzen, schreibt etwa der Autor Lars Vollmer. Deutschland könne sich Homeoffice daher gar nicht leisten.

Ein neuer Unternehmergeist

Aber lässt sich die These, dass unternehmerische Innovation persönlichen Austausch erfordert auch empirisch belegen? Zweifel sind zumindest angebracht.

OECD-Zahlen zeigen, dass die Zahl von Unternehmensgründungen Ende 2020 in vielen Ländern signifikant höher lagen als vor der Pandemie. Auf den ersten Blick erscheint diese Entwicklung wenig logisch, denn nach der letzten Wirtschaftskrise 2008 brachen die Zahlen von Neugründungen geradezu ein. Der Financial Times-Redakteur John Thornhill ist hingegen überzeugt, dass „COVID-Entrepreneure“ eine neue Phase der kreativen Zerstörung anführen.

Was erklärt diesen neuen Unternehmergeist?

Der digitalpolitische Verein D64 beschreibt in einem Blogpost, an dem ich ebenfalls mitgewirkt habe, wie Arbeit seit jeher auch ein Transmissionsriemen für gesellschaftlichen Wandel ist. Erst die Entstehung von Fabriken in der ersten Industriellen Revolution hat die Trennung von Wohnort und Arbeitsplatz zur Norm gemacht. Und in der zweiten Industriellen Revolution, in der erstmals auch Wissensarbeit „skaliert“ werden konnte, wurde das Großraumbüro etabliert.

Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass wir uns erneut an einem Scheideweg befinden, an dem wir Arbeit grundlegend neu definieren. Anders als während der zweiten Industriellen Revoution, in der Wissensarbeit immer noch an einen physichen Datenträger – das Papier – gebunden war, ist Arbeit heute unabhängig von Zeit und Ort.

Dass virtuelle Kollaboration genauso produktiv sein kann wie persönlicher Austausch zeigen Unternehmen wie die digitale Event-Plattform Hopin. Nur zwei Jahre nach seiner Gründung hatte Hopin im November 2021 bereits mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen – und arbeitet dabei vollständig dezentral.

Wie wir arbeiten prägt wie wir leben

Und weil Innovation heute nicht mehr so stark an bestimmte Orte gebunden ist, stehen wir vor einer erheblichen Veränderung unserer Gesellschaft, unserer Architektur, unserer Mobilität und unserer Städte wie zuletzt vor 200 Jahren, also die Industrialisierung neue Metropolen erschuf. Aber wo Arbeiter vor 200 Jahren dort leben mussten, wo sie Arbeit fanden, können wir heute dort arbeiten wo wir leben wollen. Für Städte und Kommunen ist das eine riesige Gelegenheit, sich neu zu erfinden.

Die Gründungen in Deutschland sind im Jahr 2020 übrigens weitaus weniger stark gestiegen als in anderen OECD-Ländern wie Frankreich oder Großbritannien – vielleicht auch, weil wir den fundamentalen Wandel, den die Pandemie gebracht hat bisher nicht erkannt haben und immer noch glauben, man braucht ein Büro, um etwas Neues zu beginnen.

Wenn Lars Vollmer schreibt, dass Organisationen im Homeoffice weniger Innovativ seien dann trifft das vielleicht auf inkrementelle Innovation zu, bei der bestehende Produkte verbessert werden.

Aber auch schnellere Kutschen hätten den Erfolg des Autos nicht aufhalten können. Genauso wie das Auto die Mobilität nicht nur verbessert sondern revolutioniert hat, hat die Pandemie eine Phase der disruptiven Innovation im Sinne der Theorie von Clayton Christensen eröffnet, in der die Weichen für unsere Zukunft neu gestellt werden. Und das ist auch gut so.

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