Nach dem Weg in die Kita laufe ich eine Runde durch den Park und sitze dennoch pünktlich um 9.00 Uhr in meiner Telefonkonferenz. Und anstatt mich nach der Arbeit durch den Pendelverkehr zurück nach Hause zu schlagen, klappe ich den Laptop zu und genieße zwei Stunden mit der Familie.
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass flexibles Arbeiten in viel größerem Ausmaß möglich ist als von Arbeitgeber:innen behauptet. Aber vor allem: Studien zeigen, dass die Zufriedenheit von Mitarbeiter:innen im Homeoffice während der Pandemie sogar gestiegen ist, trotz einer höheren Arbeitsbelastung.
Ein „Recht auf Homeoffice“ greift zu kurz
Trotzdem zögern viele Unternehmen, flexibles Arbeiten auch nach dem Ende der Pandemie ermöglichen. Und die Politik verkennt in der Diskussion um ein „Recht auf Homeoffice“ die tiefgreifenden kulturellen Veränderungen, die flexibles Arbeiten bringt.
Ein politischer Kuhhandel, bei dem Arbeitnehmer:innen am Ende zwei oder drei Tage flexibel arbeiten dürfen, wird weder Arbeitnehmer:innen noch Arbeitgeber:innen gerecht. Arbeit kann entweder flexibel organisiert werden – oder nicht.
Nur wenn Arbeit grundsätzlich flexibel organisiert wird, können die betriebswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteile von flexibler Arbeit realisiert werden. Ein:e Arbeitnehmer:in, die jeden Tag anderthalb Stunden pendeln spart, gewinnt fast einen „Arbeitstag“ pro Woche für die Pflege eines Angehörigen, für Freunde und Familie oder ein Hobby.
Und ländliche Räume können nur dann von flexibel arbeitenden „digitalen Nomaden“ profitieren, wenn diese auch tatsächlich flexibel in ihrer Arbeitsgestaltung sind und nicht lediglich ein „Recht auf Homeoffice“ an zwei Tagen die Woche haben.
„Hybrides Arbeiten“ und Diskriminierung
Formen hybrider Arbeit hingegen, die den meisten Unternehmen zur Zeit vorschweben und die eine Arbeitswoche in „Bürotage“ und „Homeoffice-Tage“ unterteilen, bergen die Gefahr neuer Konfliktlinien.
In Unternehmen, die es Arbeitnehmer:innen frei stellen, wie oft sie im Büro beziehungsweise flexibel arbeiten wollen, machen vor allem Frauen mit kleinen Kindern von der Möglichkeit des Homeoffice Gebrauch. In der Folge sinkt deren Beförderungsquote signifikant. „Unternehmen müssen in dieser Hinsicht paternalistisch sein“, meint der Ökonom Nicholas Bloom deswegen und zum Beispiel genau festlegen, an welchen Tagen Mitarbeiter:innen flexibel arbeiten und an welchen sie im Büro anwesend sein sollten.
Umgekehrt gilt, dass gerade Berufsanfänger:innen im Austausch mit anderen lernen und berufliche Netzwerke knüpfen. Das amerikanische Patentamt, dass bereits 2012 eine „work from anywhere“-Richtlinie eingeführt hat, knüpft die Möglichkeit des flexiblen Arbeitens daher an die Bedingung, dass neue Mitarbeiter:innen die ersten zwei Jahre in der Zentrale arbeiten.
Die norwegische Firma Equinor geht noch einen Schritt weiter und hat neun unterschiedliche „Personas“ für hybrides Arbeiten entwickelt und darauf aufbauend unterschiedliche Richtlinien für hybrides Arbeiten für jede dieser Personas entworfen.
Diese Beispiele zeigen, dass ein einfaches „Recht auf Homeoffice“ der Komplexität des Themas nichtgerecht wird. Die britische Regierung hat den Spieß deswegen umgedreht und die Wirtschaft aufgefordert, Vorschläge zu erarbeiten, wie flexibles Arbeiten zu gefördert werden kann (ohne daraus einen Rechtsanspruch zu machen). In Deutschland sind es vor allen Dingen die Sozialpartner, die hier gefordert sind.
Flexible Arbeit als „Transmissionsriemen“ für gesellschaftlichen Wandel
Flexibles Arbeiten bietet die Chance, ein Transmissionsriemen für gesellschaftlichen Wandel zu sein. So wie die Industrialisierung das Bild unserer Städte bis in die Moderne hinein geprägt hat, kann auch flexibles Arbeiten unsere Art zu Leben grundlegend verändern.
Durch flexibles Arbeiten haben Menschen die Freiheit, zu arbeiten, wo sie leben und nicht dort zu leben, wo sie arbeiten. Dies ermöglicht es Arbeitnehmer:innen, näher bei ihrer Familie zu leben, aufs Land zu ziehen oder sogar ihren Wohnort saisonal zu wechseln.
Einzelne Regionen können sich mit gezielten Angeboten an diese Menschen richten: etwa mit besonders vielen Coworking Spaces, einer lebhaften Community für eine bestimmte Branche, Angeboten für Familien oder guten Bildungsmöglichkeiten. So kann wirtschaftliches Wachstum gleichmäßiger verteilt werden.
Städte werden dabei nicht unwichtiger: Sie behalten ihre besondere Rolle als Ort der Begegnung und des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Schichten und Kulturen. Aber ihr Bild wird sich ändern: Geschäftsviertel werden zu Wohnquartieren und breite Straßen zu Flaniermeilen. Die Idee einer 15-Minuten-Stadt, bei der alle wichtigen Einrichtungen innerhalb von 15 Minuten erreichbar sind, kann durch flexible Arbeit Realität werden.
Zukunftsbilder zeigen oft fliegende Autos oder Kolonien im Weltraum. Aber wie wäre es, in einer Stadt zu leben, die ein Drittel ihrer Straßen und Parkplätze in Grünflächen verwandelt hat, weil die Menschen weniger pendeln müssen? Wo Wohnen, Arbeiten und Leben verschmilzt und leere Pendlerstädte am Tag und verwaiste Geschäftsviertel am Wochenende Geschichte sind? Wo die Lebensqualität steigt, weil Menschen mehr Zeit für Familie und Hobbies haben?
Und jetzt: Laptop zu und ab in den Pool!