Was heißt „beautiful business“ im Zeitalter der Automatisierung und der Künstlichen Intelligenz, in der „Superstar“-Firmen mit purpose werben aber Shareholder-Value meinen?
Nach vier Tagen Diskussion und dem Singen von Kampfliedern im House of Beautiful Business in Lissabon kristallisieren sich zwei sehr unterschiedliche Antworten auf diese Frage heraus.
Die erste Denkschule ist überzeugt, dass unser Wirtschaftssystem kaputt ist.
„Wenn ich Mark Zuckerberg wäre, würde ich Facebook in ein öffentliches Infrastrukturunternehmen umwandeln und die Shareholder müssten sich dann einfach damit abfinden“, meint etwa der Autor und Tech-Kritiker Douglas Rushkoff. (Digital-) Unternehmen müssten zu Genossenschaften werden, weil börsennotierte Unternehmen nicht in der Lage seien, den Shareholder-Value-Kapitalismus zu überwinden (und ja, es gibt natürlich gute Beispiele dafür, dass Kooperativen beautiful business sind).
Die zweite Denkschule wird durch „leidenschaftliche Pragmatiker“ wie den Ökonomen Sir Paul Collier repräsentiert. Collier zufolge ist das Ringen um eine neue Form des Kapitalismus der größte Kampf unserer Zeit. Neue Konfliktlinien zwischen boomenden Metropolen und verödeten ländlichen Regionen sowie zwischen gut ausgebildeten Fachleuten und wenig gebildeten Hilfsarbeitern beschreiben die zentralen Herausforderungen vor denen wir stehen.
„Ich glaube fest an den Kapitalismus“, meint Sir Paul. „Aber wenn man ihn auf Autopilot laufen lässt, gerät er aus der Bahn.“ Niemand wache morgens auf und denke sich: „Heute möchte ich den Shareholder Value erhöhen!“
Dabei helfe bloße Wut nicht bei der Lösung der Probleme, so Sir Paul, vielleicht mit Verweis auf den Vortrag von Anand Giridharadas am Vorabend. Giridharadas hatte kritisiert, dass der Diskurs über die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft ausgerechnet von denjenigen Eliten geführt würde, die am meisten zu verlieren hätten. „Das ist, als ob man den Schutz der Hühner an den Fuchs delegiert“.
Demgegenüber betonte Sir Paul: „Von Ideologie getriebene Revolutionen führen nicht nach Utopia. Wir wissen, wohin sie führen.“ Der Autor des Buches „The Future of Capitalism“ (Amazon-Link) propagierte stattdessen eine Reform des Kapitalismus.
Rushkoff, Sir Paul und viele andere Gäste des House of Beautiful Business waren sich einig in ihrer Kritik an den großen Technologiekonzernen, ihrer Dominanz im öffentlichen Raum und ihrer Kontrolle über unser Leben.
Doch trotz der vielfach berechtigten Kritik sollten wir uns vor dem Zynismus schützen, den Giridharadas versprühte („Ich glaube nicht, dass jemand, der eine App zum Bewerten von Frauen an der Uni erfunden hat, soviel Kontrolle über unseren Diskurs haben sollte“).
Dass Unternehmen eine erhebliche Kraft zur Veränderung haben zeigen Beispiele wie die dänische Energiefirma Ørsted, die ihren CO2-Ausstoß bis 2023 um 96 Prozent reduzieren wird. Ein purposeful capitalism ist also möglich und Veränderungen können auch durch und in Unternehmen geschehen und nicht nur auf der System-Ebene.
Auf dem Weg zu beautiful business ist es nicht nur der alleinige Fokus auf Shareholder Value, der uns bremst, sondern auch eine Form des Zynismus, der nicht daran glaubt, dass auch große Organisationen sich wandeln können – vielleicht nicht alle und vielleicht nicht sofort, aber hoffentlich genügend und schnell genug.
„Wir brauchen die Menschen in Organisationen und den Druck von Außen“, fasste die Journalistin Georgia Frances King die Diskussion in einer der letzten Sessions mit dem Titel „Falling in Love with Tech Again“ zusammen.
Und Sir Paul beendete seinen Auftritt im House of Beautiful Business mit dem Satz: „Bitte, seien Sie Botschafter des Wandels. Ich bin verängstigt über das, was ich im Internet sehe, aber wir brauchen das Netz!“
Best of House19
Das Haus of Beautiful Business hatte eine Menge spannender Residents zu bieten, hier nur eine kleine Auswahl von Vorträgen, die mich besonders beeindruckt haben:
- Die Designerin Leyla Acaroglu hat darüber gesprochen, wie man mit besserem Design eine nachaltigere Welt schaffen kann.
- Sir Paul Collier, „steward of capitalism“.
- Die Ingeneurin Dara Dotz, die cutting edge-Technologie zu den Menschen bringt, die damit am Meisten anfangen können (Foto).
- Der Extinction-Rebellion-Aktivist, Slow Traveller und ehemalige Berater Ed Gillespie mit seinem flammenden Plädoyer für den Baum (Foto).
- Ebru Köksal, die eine sehr persönliche Geschichte mit uns teilte (Foto).
- Jess Kutch, Gründerin von Coworker.org mit spannenden Einblicken in die Gewerkschaftsbewegung in den Vereinigten Staaten.
- Mathieu Lefèvre, einer der Gründer der NGO More In Common, die kürzlich auch in Deutschland gestartet sind.
- Mariana Lin, die uns daran erinnert hat, dass Künstliche Intelligent genauso merkwürdig sein sollte wie wir Menschen es sind.
- Jennifer Petriglieri, Autorin von „Couples That Work“ (Amazon-Link).
- Carolin Ramade, die für mehr Diversität in der Tech-Branche streitet.