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Das Wort zum Superwahljahr 2021

Das Wort zum Superwahljahr 2021

Das Jahr 2021 wird ein „Superwahljahr“ der besonderen Art: Mit dem Rennen um die Nachfolge von Angela Merkel als Kanzlerkandidatin der Union ist auch die Frage nach ihrem politischen Erbe verknüpft.

Merkels erfolgreiches muddling through

Angela Merkel startete ihre erste Kanzler-Kandidatur mit großen Ambitionen; die Beinahe-Niederlage im Wahlkampf 2005 verpasste ihr jedoch noch vor der Vereidigung einen ernsthaften Dämpfer.

In den kommenden Jahren war Merkels politischer Stil eher von muddling through als politischer Führungsstärke gekennzeichnet – trotzdem hat sich Deutschland in den vergangenen 15 Jahren zweifellos sehr verändert: Der Atomausstieg, die Euro-Rettung, die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die Flüchtlingspolitik und die beispiellosen Corona-Hilfen fallen alle in die Regierungszeit Merkels.

Aber das sind ja fast alles sozialdemokratische Themen!, schreien da vielleicht ein paar Konservative und (verzweifelte) Sozialdemokraten. Aber nachhaltige politische Veränderungen können nur von Parteien erreicht werden, die politisches Kapital in ein Thema investiert haben.

Beispiel Energiewende: Es ist relativ einfach für eine rot-grüne Bundesregierung, den Ausstieg aus der Atomenergie zu beschließen. Von Dauer ist solch ein Beschluss jedoch nur, wenn ihn auch die Christdemokraten mittragen, wie der Wiedereinstieg in die Atomenergie und der Ausstieg aus dem Wiedereinstieg nach der Katastrophe von Fukushima gezeigt haben.

Droht der Union eine inhaltliche Spaltung wie der SPD?

In der Woche vor Weihnachten ist ein Meme in meiner Timeline aufgetaucht, das vielleicht nur eine Momentaufnahme abbildet, vielleicht aber auch ein Signal dafür ist, wie tief gespalten die Christdemokraten sind (eine Spaltung, die die Sozialdemokraten bereits seit Einführung der Agenda 2010 durchlaufen):

Es stammt vom Verein „Mobil in Deutschland“, einem laut Süddeutsche Zeitung „dubiosen“ Verkehrsverein, auf dessen Webseite schon einmal fremdenfeindliche Mitteilungen und Verschwörungstheorien zu finden sind.

Das erklärt vielleicht die dem Meme zugrunde liegende Grundannahme, dass „die Chinesen“ einfach alles von den Deutschen kopieren (dabei ist Wirtschaftsspionage zu einem erheblichen Teil für den wirtschaftlichen Erfolg der Deutschen während der Industriellen Revolution verantwortlich).

Vor allem aber nährt dieses Bild das falsche Narrativ, dass wir in Deutschland besser dastünden, wenn Unternehmensvorstände nach wie vor ausschließlich aus Männern bestünden, wir weiterhin beim Anfahren an der Ampel den Dieselmotor aufheulen lassen und beim Grundrecht Datenschutz beide Augen zudrücken würden.

Liberale Gesellschaften sind langfristig erfolgreicher

Das Gegenteil ist richtig: Laut einer EU-Studie sind Länder, die von Frauen geführt werden, besser durch die Corona-Krise gekommen als von Männern regierte Länder; Unternehmen, die sich Ziele für nachhaltiges, sozial gerechtes und faires Verhalten setzen werfen bessere Renditen ab als traditionelle Firmen und niemand setzt sich hoffentlich dafür ein, dass wir Künstliche Intelligenz auf dieselbe Art und Weise einsetzen wie es die chinesische Regierung im Falle der Uiguren tut.

Die Soziologin Silke van Dyk bringt die vielen Trugschlüsse dieser Argumentation in einem hörenswerten Gespräch mit dem WDR5 auf den Punkt: „Weil wir über die Ehe für alle diskutieren, haben wir nicht weniger Zeit, über die soziale Frage zu diskutieren.“ Politik ist eben kein Nullsummenspiel und nur weil unser politischer Horizont heute weiter ist als vor 30 Jahren heißt das nicht, dass bestimmte soziologische Gruppen von der Politik „vergessen“ werden.

Trump ist weg, der „Trumpismus“ bleibt

Wir befinden uns in einer „demokratischen Rezession“ (Larry Diamond). Erstmals in diesem Jahrhundert ist die Zahl der nichtdemokratischen Länder größer als die Zahl der Demokratien.

Der Siegeszug von Populisten wie Donald Trump, dem es gelang, die Wähler davon zu überzeugen, dass Identitätspolitik wichtiger ist als ihre ökonomischen Interessen, stellt unser demokratisches System in Frage. Und unser Wirtschaftssystem wird angezweifelt, weil es als zunehmend ungerecht angesehen wird.

„Keines der heute dominanten Systeme unserer Welt funktioniert gut“, schreibt Martin Wolf in der Financial Times über den Kapitalismus und die liberale Demokratie. Und auch wenn Trump von der politischen Bühne verschwunden ist, bleibt der „Trumpismus“ eines ernste Gefahr.

Das ist die Herausforderung, vor der wir in diesem Wahljahr stehen: Wer glaubt, die Populisten mit den Mitteln des Populismus besiegen zu können, wird immer auf jemanden treffen, der ein noch besserer Populist ist. Sich für eine liberale Demokratie, soziale Marktwirtschaft und Globalisierung einzusetzen mag anstrengender sein – aber auch lohnender, und zwar für jeden einzelnen Bürger.

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