Der Umgangston in sozialen Netzwerken ist manchmal rau – und viel zu oft voller Pöbeleien, Feindseligkeiten und Kleingeistigkeit. Wie schwer ein sinnvoller Diskurs über den Umgang mit hate speech im Netz hinzubekommen ist, musste letzte Woche auch das Innenministerium erkennen, das seine Leser in einem Post zu einem zivilen Umgangston aufforderte:
Respektvoll miteinander umgehen Ihr müsst. Hass ist keine Meinung, führt zur dunklen Seite der Macht #nohatespeech pic.twitter.com/GH9qNgV8Vj
— Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (@BMI_Bund) July 28, 2016
Später führte das Ministerium weiter aus: “Wir sprechen uns gegen Hatespeech aus, egal ob strafbar oder nicht. Jeder darf seine Meinung äußern, aber sachlich & ohne Angriffe.”
Das wiederum rief eine Reihe von Kritikern wie Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt, auf den Plan, der gleich von “Abschaffung der Meinungsfreiheit” sprach:
Sie werben damit aber nicht für "respektvollen Umgang", sondern für Abschaffung der Meinungsfreiheit. @BMI_Bund @blume_aaron @430_BC
— Julian Reichelt (@jreichelt) July 29, 2016
Woher kommt diese heftige Reaktion auf eine eigentlich doch selbstverständliche Aufforderung? Oder anders gefragt: warum verteidigen Journalisten plötzlich genau jene hasserfüllten Hetzer, die sonst keine Gelegenheit auslassen um über die “Lügenpresse” zu schimpfen?
Trolle wollen das Netz als demokratischen Ort zerstören
Das Ziel der Trolle, schrieb der New Yorker kürzlich, sei es, das Internet als einen Ort der demokratischen Debatte zu diskreditieren:
The real effect, the Russian activists told me, was not to brainwash readers but to overwhelm social media with a flood of fake content, seeding doubt and paranoia, and destroying the possibility of using the Internet as a democratic space. One activist recalled that a favorite tactic of the opposition was to make anti-Putin hashtags trend on Twitter. Then Kremlin trolls discovered how to make pro-Putin hashtags trend, and the symbolic nature of the action was killed. “The point is to spoil it, to create the atmosphere of hate, to make it so stinky that normal people won’t want to touch it,” the opposition activist Leonid Volkov told me. (h/t Hakan Tanrıverdi)
Es geht also nicht um eine Auseinandersetzung in der Sache, die durch Meinungsfreiheit geschützt ist. Sondern es geht darum, die gemeinsamen Grundlage für genau diese Auseinandersetzung – und damit schließlich auch die Meinungsfreiheit selbst – zu zerstören (dazu hat die Frankfurter Rundschau einen guten Leitartikel geschrieben).
Im Netz wird Wahrheit zu einer bloßen Meinung reduziert
Ein Rückblick: Als am 2. Dezember 2000 ein Brandanschlag auf die jüdische Synagoge in Düsseldorf verübt wurde, forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder einen “Aufstand der Anständigen”. “Wegschauen ist nicht mehr erlaubt”, so Schröder weiter.
Solch einen “Aufstand der Anständigen” brauchen wir auch heute im Umgang mit Falschinformationen, Hass und Propaganda. Es ist unser Internet, aus dem Antifeministen, Reichsbürger, Aluhüte und geistige Brandstifter einen Ort machen, an dem der anti-intellektuelle Populist Donald Trump mehr Follower hat als der Präsident der Vereinigten Staaten und wo die Werte von Wahrheit und Aufklärung, die das große Versprechen des Internets an die Menschen sind, zu einer bloßen Meinung reduziert werden, die man glauben kann – oder eben nicht.
Der Blog Boing Boing verbreitete kürzlich über Twitter eine Anzeige der Werbeagentur Young & Rubicam aus dem Jahr 1942, die die CEOs amerikanischer Firmen aufforderte, sich selbst zu “Gerüchte-Wächtern” zu ernennen, um der auf Gerüchten basierenden Nazi-Propaganda etwas entgegenzusetzen:
“Der Grund für den Erfolg der Goebbels’schen Propagandamaschine ist, dass sie organisiert ist”, so die Werber. “Um die Nazis mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, müssen wir uns ebenfalls organisieren.”
Auf gespenstische Art und Weise ist diese Anzeige heute wieder brandaktuell. Denn es ist nicht das Innenministerium, das eine Gefahr für das Netz darstellt (zumindest nicht in diesem Fall). Es sind organisierte Trolle, Gerüchteköche und Hassprediger, die verhindern wollen, dass das Internet ein demokratie- und wissensförderndes Instrument bleibt.
Statt ein Ort der Aufklärung ist das Internet heute ein Ort der Angst – vor Islamisierung, Glyphosat, Freihandel und Zensur. Es ist Zeit, dass wir das Internet wieder zurückerobern – wir Nutzer, Journalisten, CEOs, Künstler und – ja – auch das Innenministerium.
#reclaimtheinternet
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