Als Telekom-Chef Thimotheus Höttges im Dezember die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gefordert hat, schwappte eine Welle der freudigen Erregung durch die Republik – dabei hatte Höttges nur wiederholt, was er bereits vier Wochen zuvor auf dem Deutschen Arbeitgebertag in den Raum gesagt hatte.
Hat @deutschetelekom Chef Höttges gerade ein bedingungsloses Grundeinkommen gefordert? Wichtiger Gedanke! #DAT2015 pic.twitter.com/HQs6na2wan
— Daniel Florian (@d_florian) November 24, 2015
Immerhin: Höttges ist der erste DAX-Chef, der sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausspricht. Aber er ist nicht der einzige Wirtschaftsführer, der sich plötzlich für eine Idee interessiert, die viele bisher eher für Sozialromantik hielten.
Führt die Digitalisierung zum Grundeinkommen?
Auf dem Weltwirtschaftsforum Davos unterstützen auch andere Unternehmer und Manager wie SAP-Vorstand Bernd Leukert oder der Investor Joe Schoendorf die Forderung nach einem “basic income”. Denn die Digitalisierung führe zwar zu mehr Wohlstand, aber nicht zwangsläufig auch zu mehr Arbeit. Ein Grundeinkommen federt die Risiken der Digitalisierung ab und schützt die Gesellschaft vor dem Auseinanderbrechen, so Leukert.
Dass unser Steuersystem nicht mehr ohne Weiteres zu unserem Wirtschaftssystem passt, glaubt auch Claus Hulverscheidt. Der Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung kritisierte vor Kurzem in einem eindrucksvollen Kommentar, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland immer weiter steigt – und das selbst wenn die Einkommensungleich sinkt, weil sich Vermögen von selbst vermehrt, während Einkommen erarbeitet werden muss.
Hulverscheidts Reformvorschlag ist radikal: die Einkommenssteuer solle abgeschafft und durch eine Vermögenssteuer ersetzt werden.
Mehr Raum für Kreativität oder eine Hängematte?
In einer Wirtschaft, in der Produktivität nicht mehr überwiegend von Menschen, sondern von Maschinen abhängt (Siemens hat 350.000 Mitarbeiter, Google 54.000), wäre ein Schritt wie das bedingungslose Grundeinkommen nur konsequent.
Äußerst schwierig ist dagegen eine Vorhersage der weiteren Folgen solch einer Entscheidung: welche Dynamik würde entstehen, wenn ein Land wie Deutschland ein bedingungsloses Grundeinkommen einführt? Würden neue Wanderungsbewegungen nach Deutschland entstehen? Würden Talente lieber in ein Land auswandern, wo ihr Einsatz scheinbar mehr gewürdigt werden?
KPMG: Die Frage ist doch, wie man ein bedingungsloses Grundeinkommen global organisiert #WEF16
— Carsten Knop (@carstenknop) January 24, 2016
Ich glaube, dass dieser Blickwinkel unzureichend ist. Statt über die Folgen für den Einzelnen zu reden, sollten wir auf das gesamte Ökosystem schauen. Firmen wie Google profitieren massiv davon, dass Ingenieure einen Tag der Woche zur freien Verfügung haben, um eigene Projekte zu verfolgen – von denen es manche schließlich in die offizielle Produktpalette von Google schaffen. Auch das ist eine Form des “bedingungslosen Grundeinkommens”.
Wenn wir glauben, dass das bedingungslose Grundeinkommen einen Freiraum für Kreativität schafft und keine soziale Hängematte, dann ist das eine Idee, über die wir auch dann diskutieren sollten, wenn unsere Politiker und Wirtschaftsführer die Davoser Bergluft wieder mit den Büroräumen und Ministerien zwischen Berlin und München eingetauscht haben.
Die Schweizer Eidgenossen gehen voran und wollen im Sommer über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen abstimmen.
Ob Deutschland folgt?
Foto: floheinstein, Lizenz: CC BY-SA 2.0