Eine Stellenanzeige sorgt für Gesprächsstoff im politischen Berlin: ab sofort sucht das Bundeskanzleramt drei Referenten mit Kenntnissen in Psychologie und Verhaltensökonomie für das neue Nudge-Team von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die Arbeitsgruppe “Wirksames Regieren” soll Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie nutzen um “alternative Designs” für politische Projekte zu entwickeln, so ein Sprecher der Bundesregierung heute. Grundlage dafür bietet die Forschung von Richard Thaler und Cass Sunstein, die 2008 den Bestseller “Nudge” veröffentlichten (hier meine Rezension zum Buch).
Verhaltensökonomen haben herausgefunden, dass viele Menschen im Alltag langfristig schädliche Entscheidungen treffen, um kurzfristige Gewinne zu realisieren. Anstatt frühzeitig für das Alter zu sparen, geben sie zum Beispiel lieber Geld im Jetzt aus. Verhaltensökonomen schlagen deswegen vor, beim Abschluss eines Arbeitsvertrags automatisch einen privaten Rentenversicherungsvertrag abzuschließen. Wer will, kann sich durch “opt out” aus dem Vertrag lösen, aber durch die Umkehrung der Auswahlmöglichkeit (aus “opt in” wird “opt our”) steigt die Zahl derer, die früh für ihr Alter vorsorgen.
Solche sozialpsychologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Politikansätze sind wichtig, weil ein Großteil staatlicher Regulierung ins Leere läuft. Das Bildunspaket etwa wurde kaum angenommen weil die komplizierte Beantragung die Zielgruppe überfordert. Viele politische Projekte werden schlicht an der Zielgruppe vorbeigeplant.
Die dänische Regierung hat deswegen mit dem Mindlab ein “Testlabor” für effektive Bürger-Services eingerichtet. Und auch US-Präsident Barack Obama und der britische Premier David Cameron ließen sich in Regulierungsfragen von “Nudge”-Autor Sunstein beraten.
Nur die deutsche Bundesregierung wollte bislang nichts von nudging wissen – und konnte sich dabei der argumentativen Unterstützung konservativer Ökomen und Journalisten sicher sein. Diese sehen in verhaltensökonomischen Politik-Konzepten Vorzeichen einer paternalistischen, die Bürger bevormundenden Politik.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Karen Horn etwa hält Verhaltensökonomie für “monströs” (hier meine Replik zu ihrem Artikel) und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnt Wirtschaftsredakteur Philip Plickert vor einem “Nanny-Staat”.
Ist die Kritik gerechtfertigt? Ich glaube nicht.
Verbraucher sehen sich täglich nudges ausgesetzt – im Supermarkt, in der Werbung und beim Büchershoppen auf Amazon. Sie sind inzwischen Teil unseres Alltags – und lange nicht so manipulativ wie oft angenommen. Warum sollte der Staat nicht tun, was inzwischen zum Standard-Repertoire von Unternehmen gehört? Schließlich führt schlechte staatliche Planung (siehe Bildungspaket) zu einer Fehl-Allokation von staatlichen Mitteln – auf Kosten der Steuerzahler. Der Staat hat eine Verantwortung für “wirkungsvolles Regieren”.
Die Alternative zur “sanften Regulierung” ist eine strenge Regulierung: eine Rückkehr zur staatliche Altersvorsorge, Verbote und Verhaltensmaßregeln wie verpflichtende Organspendeausweise. Statt einem Nanny-Staat hätten wir einen Nachtwächterstaat. Nudging ist sicherlich keine Lösung für alles – die Erfahrungen mit politischer Psychologie in den USA und dem Vereinigten Königreich sind gemischt. Aber dass die Bundesregierung dieses Instrument nun auch ausprobieren will sollte man ihr nicht vorwerfen – nudging gehört zum modernen Regieren dazu.
Foto: Ronny Siegel, Lizenz: CC BY 2.0