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Das Juncker-Debakel stärkt die Euroskeptiker

Das Juncker-Debakel stärkt die Euroskeptiker

Angela Merkel hat ein feines Gespür dafür, was die Wähler von einem Spitzenkandidaten erwarten. Als Bundesumweltminister Norbert Röttgen 2012 die NRW-CDU in den Wahlkampf führte und nach verlorener Wahl nicht an die Spitze der Opposition wechseln wollte, zwang ihn Merkel dazu, auch den Kabinettsposten hinzuschmeißen. Eine verlorene Wahl an Rhein und Ruhr sollte nicht mit einem Ministerposten in Berlin belohnt werden.

Zwei Jahre später scheint diese Arithmetik nicht mehr zu gelten. Obwohl Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen haushoch gewonnen hat, konnte sich Merkel erst nach einem Warnschuss von Springer-Chef Mathias Döpfner in der Bild dazu durchringen, Juncker öffentlich zu unterstützen.

Zurecht verweist Angela Merkel auf die europäischen Verträge, die besagen, dass der europäische Rat das Vorschlagsrechts für den Posten des Kommissionspräsidenten hat. Dieser muss allerdings das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Und schließlich hatten sich die meisten Staats- und Regierungschefs zuvor bereits öffentlich hinter die Spitzenkandidaten gestellt – auch die CDU-Vorsitzende ludt Juncker zum Europa-Pareitag der Konservativen ein. Darüber hinaus verbieten die europäischen Verträge keine Vorfestlegung des Rats, etwa durch die Nominierung von Spitzenkandidaten.

Trotzdem wundert sich Thomas Gutschker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die “öffentliche Erregung” über Merkels Kehrtwende. Schließlich sei es das “Wesen der Politik”, Interessen abzuwägen, Mehrheiten auszuloten und Kompromisse zu schließen wie jetzt im Rahmen der EU-Ratsverhandlungen.

Und natürlich hat Gutschker mit seinem klugen Text Recht. Demokratie ist eben kompliziert. Aber reicht dieser Hinweis aus, um schrillen Euroskeptikern etwas entgegensetzen zu können? Denn angesichts des Juncker-Debakels können die jetzt laut rufen: “Seht ihr? Euch wurde die Demokratie versprochen und bekommen habt ihr den ‘ordre de mufti’ des EU-Rats.”

Die Europawahl hat gezeigt, dass es inzwischen in vielen EU-Staaten Parteien gibt, deren Programm alleine die systemische Opposition zu Europa ist. In Frankreich wurde die Front National stärkste Partei, in Dänemark und Finnland gewannen die Rechtspopulisten, in Großbritannien triumphierte UKIP. Und in Italien, Ungarn und Österreich erreichten europaskeptische Parteien den zweiten beziehungsweise dritten Platz. In anderen EU-Staaten gewannen die Europagegner immerhin um die 10 Prozent der Stimmen.

Man kann in so einer Situation natürlich abwarten, im Rat einen Kompromisskanidaten finden und sagen “das ist halt Politik”. Oder man kann die Art und Weise, wie Politik in Europa gemacht wird verändern – nichts anderes war die Idee, Spitzenkandidaten für die europäischen Parteien zu nominieren. Die Alternative spielt den Euroskeptikern in die Hände, die bereits jetzt darauf abzielen, die Entscheidungsprozesse im Rat zu beeinflussen.

Ich bin selbst kein großer Freund der Spitzenkandidaten gewesen, weil die meisten EU-Bürger sich immer noch vor allem über nationale Themen definieren und weil die Kontroverse über die Nominierung des Kommissionspräsidenten für politische Beobachter absehbar war. Aber in dem Moment, in dem man sich für Spitzenkandidaten entscheidet, kann man nicht am Ende sagen, das sei ja alles nur ein vager Vorschlag gewesen. Zu Recht glaubt der Wähler dann, hinters Licht geführt worden zu sein.

Lesetipp: Der österreichische Standard schreibt über eine Intrige gegen Juncker, die von van Rompuy und Uwe Corsepius, Generalsekretär des Rates der EU und ehemaliger Chef-Berater Merkels in Europafragen, ausgehe und der auch Merkel zum Opfer gefallen worden sei. Watch this space.

Foto: European People’s Party, Lizenz: CC BY 2.0

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