Eine Initiative von Abgeordneten der SPD und der Grünen will die parlamentarische Demokratie reformieren: die Abgeordneten sollen mehr Einfluss auf die Regierung und mehr Informationen erhalten. Dazu sollen Ausschusssitzungen im Bundestag grundsätzlich öffentlich sein und die Kanzlerin soll den Abgeordneten persönlich Rede und Antwort in der wöchentlichen Befragung der Bundesregierung stehen.
Wie so etwas aussehen könnte, kann man in Großbritannien beobachten, wo die Befragung des Premierministers durch die Opposition zu den Höhepunkten der parlamentarischen Rituale gehört. Man vergleiche diesen Schlagabtausch zwischen dem (damaligen) Premierminister Gorden Brown und dem (damaligen) Oppositionsführer David Cameron mit einer Befragung der Bundesregierung im Parlament:
Ja, die Parlamentsdebatten in Großbritannien werden oft persönlich. Ja, man kann darüber streiten, ob die politische Show im britischen Parlament die bessere Alternative zum Arbeitsparlament des Bundestages ist. Schließlich arbeiten Regierungs- und Oppositionsfraktionen in Deutschland in vielen Sachfragen intensiver zusammenarbeiten als in Großbritannien – dementsprechend herrscht in Bundestagsdebatten ein weniger rabiater Ton als im britischen Unterhaus.
Aber der direkte Schlagabtausch zwischen Regierungschef und Opposition führt auch dazu, dass politische Alternativen in der Debatte zugespitzt und dadurch deutlich gemacht werden. Es werden nicht nur Programme, sondern auch Personen miteinander verglichen. Eine direkte Befragung der Kanzlerin würde auch die Verantwortung der Regierungschefin gegenüber dem Parlament betonen. Zu Recht erinnerte Bundespräsident Norbert Lammert (CDU) in diesem Zusammenhang in einem Interview mit der Zeit: “Das Parlament ist ja nicht das Vollzugsorgan der Regierung, sondern ihr Auftraggeber. Parlamente werden gewählt, nicht Regierungen.”
Überhaupt, Norbert Lammert: der Bundestagspräsident könnte sich als wichtiger Unterstützer dieser Initiative der Parlamentarier erweisen. Der nach dem Bundespräsidenten zweitwichtigste Mann im Staat scheint sich in seiner Rolle als Merkels hartnäckigster Kritiker (Energiewende, Euro-Rettung) und “heimlicher Bundespräsident” (Spiegel) zu gefallen. Immer wieder mahnt er die Regierung, das Parlament besser zu informieren und im Gesetzgebungsprozess stärker zu berücksichtigen.
Aber ob er die Kanzlerin wirklich so weit in Bedrängnis bringen würde, dass er den Antrag der Opposition unterstützt? Das käme einem Misstrauensvotum gegen Merkel gleich. Andererseits: wann, wenn nicht jetzt? Noch hat der Wahlkampf nicht begonnen, und die Opposition wird sich hüten, die CDU wegen der Unterstützung eines Gesetzes anzugreifen, dass sie selbst gefordert hat.
Für die politische Kultur des Landes wäre eine Reform in jedem Fall ein Gewinn. Eine groß angelegte Studie der britischen Zeitung The Guardian unter mehr als 5.000 Lesern hat gezeigt, dass die Wähler durchaus realistische Erwartungen an die Politik haben: jeweils zwischen 40 und 50 Prozent gaben an, die größten Probleme seien der Einfluss von organisierten Interessen auf die Politik, die Unfähigkeit des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren und die Fraktionsdisziplin. Alle diese Probleme würden durch eine Reform der Geschäftsordnung des Bundestages gelöst werden.
Ein gutes Projekt also für die zweite Hälfte der Legislaturperiode!
Foto: Marc John, Bundesviertel Bonn, Lizenz: CC BY 2.0