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Berliner Koalitionspoker

Berliner Koalitionspoker

Mit 293 zu 243 Stimmen hat der Bundestag Anfang März das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verabschiedet. Das Gesetz – gegen das nicht nur Google, sondern auch der BDI und selbst Journalistenverbände protestiert hatten – wurde allerdings in letzter Minute noch entschärft. “Einzelne Wörter oder Textausschnitte” sollten nicht mehr unter das Gesetz fallen. Aber während Google diese wichtige Änderung als Sieg für sich verbucht, haben die Verleger bereits verlauten lassen, dass die Snippets ihrer Lesart des Gesetzes nach sehr wohl lizenzpflichtig sind. Am Ende werden wohl Gerichte darüber entscheiden müssen.

Unklarheit herrscht auch beim umstrittenen Fracking: zuerst haben die zuständigen Minister Philipp Rösler (FDP) und Peter Altmaier (CDU) gemeinsam eine Einigung zum Thema innerhalb der Koalition verkündet – und Befürworter und Gegner des Fracking dann gleichermaßen verwirrt, weil Rösler die Einigung als eine Erleichterung des Frackings interpretiert wissen wollte, während Altmaier überzeugt ist, dass eine entsprechende Genehmigung nun schwerer zu bekommen sein wird.

Diese beiden Beispiele zeigen, dass der Regierung schon zum Ende ihrer ersten Legislaturperiode die Puste ausgegangen ist. Weil sich CDU/CSU und FDP auf der Sachebene in vielen Punkten nicht einig werden können (neben dem Fracking sind auch Mindestlohn, Finanztransaktionssteuer und Homoehe in der Koalition umstritten), verlegen sich die Koalitionäre auf symbolische Debatten und Aktionismus, frei nach dem Motto: so lange das Parlament noch diskutiert ist die Regierung noch an der Macht.

In den Umfragen wackelt die Mehrheit der Koalition schon seit Monaten. Zwar liegen CDU/CSU bei stabilen 40 Prozent, aber die Schwäche der FDP lässt eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition zumindest derzeit nicht zu. Umgekehrt bringen auch Sozialdemokraten und Grüne keine eigene Mehrheit auf die Beine – zumindest nicht ohne die in Ostdeutschland immer noch starke Linkspartei.

Damit nähert sich auch die Bundesrepublik der “europäischen Realität” an, in der politische Mehrheiten immer fragiler werden. Selbst in Großbritannien, wo Einparteien-Regierungen die Regel sind, regieren die Konservativen seit 2010 in einer Koalition mit den Liberalen. Auch die Wahlen in Italien im Februar führten zu einer Patt-Situation in Rom. Bemerkenswert an den Wahlen war aber vor allem der kometenhafte Aufstieg der populistischen Partei von Beppe Grillo, die es aus dem Stand auf 25 Prozent der Wählerstimmen brachte. Die wachsende Zahl der mit der EU unzufriedenen Wähler in Deutschland will eine neue Partei, die “Alternative für Deutschland”, ansprechen. Ihr fehlt jedoch (noch?) ein charismatischer Anführer.

Weil die traditionellen Lager keine Mehrheiten mehr auf sich vereinigen können, konzentrieren sich die großen Parteien im Wahlkampf auf ihre eigenen Stärken  und suchen im Hintergrund nach neuen Partnern. Öffentlich möchte zwar keine Partei über mögliche Optionen jenseits einer bürgerlichen beziehungsweise einer progressiven Koalition sprechen, ausschließen will man diese Optionen allerdings auch nicht. Neben einer Großen Koalition sind das vor allen Dingen ein schwarz-grünes Bündnis, eine rot-grüne Regierung mit Tolerierung durch die Linkspartei und eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung.

In jedem Fall müssten sich die beteiligten Parteien weit strecken, um solch einer “bunten” Koalition zum Erfolg zu verhelfen: schwarz-grün hat keine einzige Stimme im Bundesrat und eine Minderheitsregierung wäre eine Koalition auf Abruf (wie das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt). Aber klar ist auch: am Ende dieses Wahljahres könnte nicht die Partei vorne liegen, die die meisten Stimmen hat, sondern die mit den meisten Koalitionsoptionen.

Auch das erklärt, warum alle Parteien seit kurzem auffällig betonen, im Wahlkampf vor allem für sich zu werben und kaum ein führender Politiker mehr von einer “geistig-politische Wende” (so Guido Westerwelle über die schwarz-gelbe Koalition) oder einem “rot-grünen Projekt”. In diesem Wahlkampf kämpft jeder für sich.

Foto: © Mellimage, Fotolia.com

Anmerkung: Dieser Blogpost ist zuerst am 21. November 2012 bei berlin+ erschienen, dem Politikblog der Public-Affairs-Bratung g+ germany. Wenn Sie berlin+ abonnieren und regelmäßig E-Mails mit aktuellen Beiträgen zur deutschen und europäischen Politik und Wirtschaft bekommen wollen klicken Sie bitte hier.

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