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Hausausweis-Debatte: Vorratsdatenspeicherung für Lobbyisten?

Hausausweis-Debatte: Vorratsdatenspeicherung für Lobbyisten?

In den Hallen des Parlamentes lungern “Heerscharen” von Lobbyisten, um den Politikern ihre Ratschläge einzuflüstern, während die Interessen der Mehrheit der Bürger ignoriert werden. Und wie kommen sie dorthin? Mit einem Hausausweis für den Bundestag, den sie sich zuvor von einer der Fraktionen besorgt haben.

Trotz eines Gerichtsbeschlusses wollen CDU/CSU und SPD aber keine Auskunft darüber geben, wer von ihnen so privilegiert wird – das stinkt doch geradezu nach Klüngel, oder?

So lesen sich die empörten Pressemitteilungen und Kommentare von Abgeordnetenwatch und Medien wie meinem Lieblings-Magazin WDR Politikum (Politikum vom 22. Oktober 2015).

Was ist dran? Viel Lärm um nichts.

Die SPD vergibt Hausausweise am liebsten an sich selbst

Nicht alle Fraktionen verschweigen, wem sie Lobby-, äh Hausausweise, gegeben haben. Die SPD zum Beispiel hat ihre Liste inzwischen (anonymisiert) veröffentlicht. Insgesamt haben die Sozialdemokraten 218 Ausweise vergeben, davon über 100 an Parteivorstand und Friedrich-Ebert-Stiftung. Nur rund 15 Ausweise gingen an Unternehmen, der Rest an Verbände, Stiftungen, Think Tanks sowie eine Kinderbetreuung, einen Kurierdienst und den Getränkelieferanten der Fraktion.

Nicht zu vergessen die “Lobbyisten” Gerd Billen und Rainer Baake, die die SPD sogar zu Staatssekretären gemacht hat. Beide arbeiteten zuvor wohlgemerkt nicht in der Wirtschaft, sondern als oberster Verbraucherschützer und Vordenker der Energiewende. Nach Informationen des Handelsblatt hatte der WWF im letzten Jahr fast so viele Termine mit der Bundesregierung wie die Automobilindustrie (Blendle-Link). Lobbyisten hingegen sind immer nur die anderen, die Unternehmesvertreter.

Hausausweise öffnen Türen, nicht Ohren

Und schließlich: der Hausausweis öffnet nur Türen, nicht Ohren. Jeder Mensch kann den Bundestag auch ohne Hausausweis besuchen und braucht dann eben nur ein paar Minuten länger beim Eingang.

Aber sollten wir nicht wissen dürfen, welche Unternehmen versuchen, die Politik beeinflussen? Natürlich. Aber das Wissen darüber, wer einen Hausausweis hat, wird uns über die Mechanismen der Interessenvertretung wenig sagen können. Es sollen ja nicht die Inhalte von Treffen publiziert werden, sondern nur wer von wem einen Hausausweis bekommen hat, also gewissermaßen nur die “Metadaten”. Es geht also um eine Art Vorratsdatenspeicherung für Lobbyisten.

Investigativer Journalismus statt blindem Aktivismus

Manche Lobbykritiker erwecken hingegen den Eindruck als würde alleine die Veröffentlichung der Besitzer von Hausausweisen zu einem Heureka-Moment führen, wer in diesem Staat wirklich die Macht hat.

Das wird nicht passieren. Die Interessenvertretung – und natürlich auch die Meinungsbildung der Abgeordneten – ist komplexer. Unbotmäßige Einflussnahme kann nicht per Dekret verhindert werden. Statt blindem Aktivismus brauchen wir dafür investigativen Jourrnalismus sowie Zeit, Geduld und viel Recherche. Oder glaubt Politikum tatsächlich, dass Lobbyisten einen Hausausweis brauchen um Politiker zu schmieren?

Transparenz in der Interessenvertretung ist wichtig und richtig, aber sie ersetzt nicht eine wachsame Zivilgesellschaft und ist kein Substitut für eine intakte öffentliche Moral unserer Abgeordneten sowie der hier tätigen Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen. So viel Ehrlichkeit sollte schon sein in der Debatte – sonst bleibt es ein Kampf gegen Windmühlen.

Foto: Marcus Pink, Lizenz: CC BY 2.0

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View Comments (5)
  • Ein guter Beitrag, an dem – im Lichte seiner ihm eigenen Argumentationslinie – nichts auszusetzen ist 🙂

    Allerdings wird in dem Beitrag ausgeblendet, dass es im Kern dieser Debatte natürlich nicht um die Möglichkeiten geht, die das Herumlungern in den Gebäuden des Deutschen Bundestags eröffnen.

    Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausgabe eines Hausausweises wenig bis gar nichts über zu treffende politische Entscheidungen aussagt. Was daran so “anrüchig” erscheint, sind die offenbar sehr guten Beziehungen die dazu führen, dass die entsprechende Person/Institution/Organisation einen Hausausweis auf diesem Wege erhalten – und vor deren Hintergrund man sich natürlich fragen kann, was diese Beziehungen für politische Entscheidungsfindungsprozesse bedeuten. Wenn also gegen deren Veröffentlichung ernsthaft angeredet werden will, muss dieser Aspekt berücksichtigt werden.

    VG

    • Auch über die “anrüchigen Beziehungen” sagt die SPD-Liste ja was aus: mit Abstand am meisten Ausweise gehen an Mitglieder der eigenen Partei. Nur ca. 15 (!) an Unternehmenslobbyisten. Verbandslobbyisten habe ich hier rausgenommen – als Branchenvertreter haben sie eine etwas andere Rolle als reine Unternehmenslobbyisten. Zumindest kann man aus der SPD-Liste nicht heraussehen, dass die Partei einseitige Beziehungen zu Unternehmen pflegt … Auch diesen Teil der Debatte halte ich vor diesem Hintergrund für reichlich überzogen!

  • “Manche Lobbykritiker erwecken hingegen den Eindruck als würde alleine die Veröffentlichung der Besitzer von Hausausweisen zu einem Heureka-Moment führen, wer in diesem Staat wirklich die Macht hat.”

    Ich würde dieses Argument umdrehen: wenn schon eine so wenig aussagende Liste geheim gehalten werden muss, dann fragt sich, warum?
    Das Vertrauen in das Parlament und seine Arbeit vor allem der CDU-Fraktion steigt damit sicherlich nicht.

    Ausser eben bei den Lobbyisten, denn um die sorgt man sich ja.

  • Schwarzmalerei, zwanghaftes Grübeln, Besorgtheit und Angst…

    Weil einige Angst haben, dass die Bürger bestimmte Zusammenhänge nicht begreifen, weil einige denken, dass nicht die Wahrheit zählt, sondern nur die Wahrnehmung, weil die Organisation LobbyControl es besonders auffällig findet , „dass die Union vielen Lobbyagenturen Zugang zum Parlament verschaffte“, weil die taz schreibt “Es handele sich um bestimmte, in der Regel besonders verschwiegene Agenturen und Kanzleien, die Lobbyarbeit im Auftrag von Unternehmen machen”, weil niemand zuhört wenn nahezu alle Politikerinnen und Politiker sagen, dass sie auf Fachwissen angewiesen sind. Natürlich geht es nicht um Hausausweise.

    Um mal einen Text von Jochen Bittner aufzugreifen: “Nein, eine Bananenrepublik ist Deutschland nicht. Aber nennen wir es ruhig eine Angstrepublik, ein Land, in dem die Angst vor der öffentlichen Meinung oft ausgeprägter ist als der Mut, zur eigenen Überzeugung zu stehen. Manchmal möchte man regelrecht schaudern darüber, wie ängstlich es an der Spitze zugeht – und wie fahrlässig Journalisten diese Angst befeuern.”

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