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Kraut und Rüben: missglückter Start der Krautreporter

Kraut und Rüben: missglückter Start der Krautreporter

Die Krautreporter sind online! Als (skeptischer) “Investor” war ich auf den Start natürlich besonders gespannt – wie ist er also, der erste Eindruck?

“Underwhelmed”, wie die Briten sagen. Die Krautreporter waren angetreten, den Onlinejournalismus neu zu erfinden – die Geschichte hinter der Geschichte zu erzählen, Zeit haben für Themen, die nicht in 500 Wörtern erzählt werden können.

33.000 Zeichen für einen Buch-Verriss? Das muss nicht sein!

Leider wird das Projekt diesem Anspruch bislang nicht gerecht. Es stimmt, was der Mediendienst Turi 2 schreibt: die Texte der Krautreporter sind vor allem eins: lang. Etwa Stefan Niggemeiers Abrechnung mit Udo Ulfkottens Buch “Gekaufte Journalisten”: warum braucht man dafür 33.000 Zeichen? Das entspricht ganzen 17 Buchseiten. Muss man wirklich eine Buchrezension im Essay-Format schreiben (erst Recht, wenn das Buch offensichtlich schlecht ist)?

Die zweite Geschichte, die ich gelesen habe, war der Edeka-Report “Das Märchen vom Tante-Emma-Laden” von Peer Schader. Auch hier fehlte mir bei der Geschichte das Alleinstellungsmerkmal der Krautreporter. Über die Marktmacht der Supermarktketten hatte zuletzt die ARD intensiv berichtet und auch in einschlägigen Wirtschaftsmedien wie dem Handelsblatt wurde beschrieben, dass das Kartellamt die geplante Übernahme der Tengelmann-Supermärkte durch Edeka äußerst kritisch sieht.

Vor allem muss ich allerdings bemängeln, dass der Artikel nicht auch die Sichtweise von Edeka berücksichtigt. An keiner Stelle wird Edeka die Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben. Vielleicht wollte sich der Konzern nicht äußern (einen Hinweis dazu gibt es im Text) – aber dann wäre ein Hinweis “Edeka wollte dazu keine Stellung nehmen” hilfreich gewesen.

Vielleicht hätte Edeka gesagt, dass die Margen im Lebensmitteleinzelhandel verschwindend gering sind – Größe ist deswegen die einzige Strategie, die überhaupt einen knappen Gewinn verspricht. Im europäischen Vergleich geben die Deutschen darüber hinaus nur sehr wenig für Lebensmittel aus – auch das ist Teil der Antwort auf die Frage, warum der Lebensmittelmarkt in Deutschland so konzentriert ist.

Von aufklärerischem Journalismus noch weit entfernt

Das wäre aus meiner Sicht eine spannendere “Geschichte hinter der Geschichte” gewesen, weil sie sich nicht alleine auf einen Akteur konzentriert, sondern über Zusammenhänge aufklärt. So laufen die Krautreporter in Gefahr, “Gesinnungsjournalismus” zu betreiben. Davor warnt auch der Medienwissenschaftler Christoph Neuberger auf Zeit Online:

Es könnte passieren, dass die Zahler das Angebot als Sprachrohr für ihre eigenen Themen und Meinungen verstehen, die sie in einem größeren, nicht-zahlenden Publikum verbreiten wollen. Das ginge dann in Richtung Gesinnungspublizistik: Man finanziert jenen Journalismus, der die eigenen Anliegen in die Öffentlichkeit trägt.

Das wäre dann in der Tat kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt, denn die große Zeit des Gesinnungsjournalismus in Deutschland, als jede Partei eine eigene Presse unterhielt, liegt in der Weimarer Republik.

Fortschrittlich im Sinne von aufklärerisch sind bislang doch eher die großen US-Plattformen wie Vox.com oder FiveThirtyEight, die Webseite des Daten-Wunderkinds Nate Silver, die durch kluge Datenanlysen und Essays versuchen, aus den parteipolitischen Schützengräben der amerikanischen Politik herauszukommen.

Davon sind die Krautreporter noch weit entfernt.

Foto: Johan Larsson, Lizenz: CC BY 2.0

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