
In der Spieltheorie gibt es ein als “Chicken Game” (Feiglings-Spiel) benanntes Szenario bei dem sich zwei Spieler konfrontativ gegenüberstehen. Ziel ist es, den anderen Spieler zum Einlenken zu bringen. Gelingt dies nicht, gehen beide Spieler auf die Katastrophe zu. Das Szenario hat seinen Namen von einer Mutprobe, bei dem zwei Autofahrer aufeinander zurasen: wer ausweicht, hat verloren; weicht keiner aus, sterben beide.
In den Verhandlungen um das neue Rettungsprogramm für Griechenland hat das Spiel gestern eine unerwartete Wende genommen: der griechische Premierminister Alexis Tsipras ist mit der Ankündigung eines Referendums zwar einer Konfrontation mit den Griechenland-Schuldnern ausgewichen. Allerdings ist er dabei endgültig von der Straße abgekommen und rast nun alleine auf einen Abgrund zu.
Selbsttäuschung via Twitter
Erkannt hat das Tsipras augenscheinlich noch nicht. Auf Twitter verlautete er gestern noch:
Many are asking: what happens after the #referendum? With a clear "NO", we will have a much stronger negotiating position. #Greece #vouli
— Alexis Tsipras (@tsipras_eu) June 27, 2015
Erstaunlich, wie groß die Unterschiede in der Wahrnehmung der eigenen Lage hier und dort sind. Denn mit der Entscheidung für ein Referendum hat sich Tsipras zuallererst selbst aufs Abstellgleis geschoben.
Stimmen die Griechen mit “Ja”, ist Tsipras politisch gescheitert, weil er das neue Rettungsprogramm selber ablehnt. Er kann es also nicht implementieren. Stimmen die Griechen mit “Nein”, hat Griechenland mitnichten eine bessere Verhandlungsposition, wie Tsipras selbst zu glauben scheint. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte der Frankfurter Allgemeinen zufolge, dass eine Regierung, die Reformen zur Abstimmung stellt und selbst deren Ablehnung empfiehlt, jegliche Glaubwürdigkeit für die weitere Zusammenarbeit mit den Gläubigern verlöre. Die Regierung Tsipras hat inzwischen jegliches politisches Kapital in Europa verspielt.
Tsipras macht es seinen Kritikern leicht
Es gibt im politischen Berlin einige, die der Überzeugung sind, dass der “Grexit” die präferierte Option auch der Bundesregierung ist, selbst wenn Angela Merkel mantraartig das Gegenteil betont.
Unsere #Karikatur_des_Tages: Unter welchen Bedingungen Merkel keinen #Grexit will.http://t.co/rX1As5Tw7M pic.twitter.com/mMjr9p8Y6S
— Cicero Online (@cicero_online) June 28, 2015
Dass Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis es ihren Gegnern so leicht machen – und ihrem Volk dabei schweren Schaden zufügen würden – ist allerdings bemerkenswert.
Foto: Joanna, Lizenz: CC BY 2.0
Die Volksabstimmung dürfte für die Regierung vor allem der Versuch sein, die innerparteilichen Kritiker und kritischen Wähler ruhig zu stellen. Dafür die Empfehlung, mit Nein zu stimmen. Insgeheim wünscht man sich aber wohl doch, dass die Mehrheit mit Ja stimmt. Varoufakis sagte am Samstag auf der PK in Brüssel interessanterweise, dass er davon ausgehe, dass die Mehrheit der Regierung in dieser Frage nicht folgen werde. Interpretation: Dann könnte man hinterher sagen: Wir sind uns treu geblieben, aber die Mehrheit will halt doch die Sparpolitik weitermachen. Du hast aber recht, dass man das daraus resultierende Legitimations-Defizit überhaupt nicht wahrnimmt.