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Funkstille: warum Politik und Wirtschaft sich nicht mehr verstehen

Funkstille: warum Politik und Wirtschaft sich nicht mehr verstehen

Politiker und Wirtschaft leben in zwei Welten, schrieb das Handelsblatt am vergangenen Freitag und bezog sich dabei auf eine Umfrage unter 100 Bundestagsabgeordneten und leitenden Beamten über das Image der deutschen Wirtschaftselite.

Das Executive Summary (PDF) der Studie liest sich in der Tat alarmierend: weniger als ein Viertel der politischen Entscheider findet, die Wirtschaft mache einen “sehr guten” oder “guten” Job und so mancher DAX-Chef ist in der politischen Klasse schlichtweg unbekannt. Die Politik braucht sich dafür nicht zu schämen. Eine umgekehrte Umfrage würde ohne Zweifel erheben, dass die Manager den Sachverstand der Politiker nicht minder gering einschätzen und dass sie ebenfalls keine Ahnung haben, wer der bebrillte Mann ist, der von Woche zu Woche durch die Talkshows tingelt.

Die Wirtschaft ist Weltmeister im Nein-Sagen

Auf der anderen Seite verwundert es kaum, wenn 63 Prozent Politiker und Beamte überzeugt sind, das “Sichern und Schaffen von Arbeitsplätzen” sei wichtiger als das Erwirtschaften von Gewinnen (25 Prozent) – schließlich werden Politiker an einer niedrigen Arbeitslosenquote gemessen und nicht an hohen Renditen. Entscheidend ist nicht, dass Politik und Wirtschaft unterschiedliche Maßstäbe haben, sondern dass sie die Maßstäbe des jeweils Anderen ignorieren.

Da sind zum einen die Unternehmen. “Die Lobbyisten der Wirtschaft erweisen sich als Weltmeister im Nein-Sagen. Sie betonen ständig, was nicht geht. Was geht oder gehen könnte, sagen sie nicht. Sie stehen mit leeren Händen da: Ihnen fehlen Ideen und Konzepte zu den Fragen, die in der Gesellschaft und in der Politik diskutiert werden”, schreibt der ehemalige Journalist Ulrich Horn.

Zum anderen sind da Politik und Verwaltung, denen nach Meinung des Unternehmers und CSU-Abgeordneten Hans Michelbach vielfach “ein auch nur ansatzweises Verständnis ökonomischer Zusammenhänge” fehlt. “Es gibt zu viel Ideologie und zu wenig praktische Vernunft”, so Michelbach gegenüber dem Handelsblatt.

Es gibt kein Informationsdefizit, sondern ein Werte-Vakuum

Manch ein Interessenvertreter argumentiert, es gäbe ein Informationsdefizit in der Politik. Eine Yale-Studie fand allerdings kürzlich heraus, dass das Gegenteil der Fall ist. Die Studie förderte zutage, dass wissenschaftlich fundierte Positionen auch von gebildeten Menschen rasch über Bord geworfen werden, wenn sie dem eigenen politischen Weltbild widersprechen. Umgekehrt formuliert: damit wissenschaftliche Erkenntnisse sich durchsetzen, müssen sie in das Weltbild der politischen Parteien integriert werden. Schließlich sprechen Parteien lieber über Werte als über Wissenschaft.

Die Branche der Erneuerbaren Energien hat dies vorgemacht indem sie gemeinsam mit den Grünen nicht nur ein Produkt, sondern gleich ein ganzes Lebensgefühl verkauft hat. Aber warum fällt es den meisten anderen Unternehmen dann so schwer, über gesellschaftliche Themen zu sprechen? Wer im eigenen Unternehmen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vorlebt, hat wesentlich bessere Argumente gegen eine verpflichtende Frauenquote als jemand, der die Verantwortung für beides an den Staat abgibt. Das Einrichten eines Betriebskindergartens und der Einspruch gegen eine verpflichtende Frauenquote sind – gesellschaftspolitisch gesehen – zwei Seiten derselben Medaille.

Foto: Minister-President Rutte, Lizenz: CC BY 2.0

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