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Politik nach dem Opportunitätsprinzip

Politik nach dem Opportunitätsprinzip

Gestern hat Peer Steinbrück alle seine Nebenverdienste der letzten drei Jahre offengelegt. Damit zeigt Steinbrück mehr Transparenz als jeder andere Abgeordnete des Bundestages. Trotzdem sind seine Kritiker nicht zufrieden.

Beispiel taz: zwar stellt die Zeitung fest, mit Steinbrücks Nebeneinkünften sei “formal fast alles in Ordnung”, attestiert dem designierten SPD-Spitzenkandidaten dann aber dennoch eine “ungute Verschleifung von Amt und privaten finanziellen Interessen”. Deswegen müsse neu festgelegt werden “was Exminister dürfen und was nicht”. Noch deutlicher ist die Wirtschaftswoche. Für Ferdinand Knauß sind bezahlte Vorträge “nichts anderes als eine honorig verpackte Form von Korruption, denn kein Vortrag ist 25.000 Euro wert”.

Einen Beleg dafür, dass Steinbrück sich hat korrumpieren lassen hat bislang noch keiner seiner Kritiker vorgelegt. Allein der Vorwurf ist natürlich schwerwiegend und diejenigen, die Steinbrück – wenn auch nur implizit – mit Korruption in Verbindung bringen, scheinen zu hoffen, dass wenigstens ein bisschen Dreck am SPD-Mann hängen bleiben wird.

Im Kern geht es um zwei Fragen: war Steinbrücks verhalten illegal (nein) und war es zwar legal, aber moralisch verwerflich, weil seine Vorträge ihm zumindest dem Vorwurf der Korruption aussetzen. Die Meinungen zu letzterem Punkt gehen naturgemäß auseinander, aber dennoch ist die Kritik an Steinbrück überzogen.

Auch Joschka Fischer, Theo Waigel oder Klaus Töpfer haben nach ihrem Ausscheiden aus dem Ministeramt bezahlte Vorträge gehalten. Alle bekleiden kein offizielles Amt mehr, aber immerhin wurde Töpfer inzwischen mehrmals als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt – kaum vorstellbar, dass seine bezahlten Vorträge der Grund für seine Nicht-Nominierung waren.

Bundestagsabgeordnete dürfen Nebentätigkeiten nachgehen – und viele tun es, auch und gerade Anwälte. Gregor Gysi – der Anwalt – etwa spricht im Auftrag seines Mandanten, des E-Zigaretten-Herstellers Moor & More beim Gesundheitsministerium Nordrhein-Westfalen vor. Seine Fraktion stellt zur gleichen Zeit Anfragen an die Bundesregierung zum selben Thema. Und auch Regierungsparteien lassen sich großzügig von Unternehmen und – wie im Falle der Jungen Union – sogar von Ländern wie Aserbaidschan finanzieren. Unternehmen zahlen viel Geld für solches Sponsoring weil die Aufmerksamkeit von Spitzenpolitikern ein rares Gut ist.

Natürlich kann an Steinbrück für seine Vortragstätigkeit kritisieren. Wer aber Vorträge ganz verbieten will, muss auch alle anderen Arten des Nebenverdienstes – vom Anwaltsberuf bis zum Aufsichtsrat und zum Parteisponsoring – verbieten. Damit würden wir tatsächlich eine Klasse von Berufspolitikern schaffen. Und wer Steinbrück in die Nähe von Korruption stellt, sollte seine Vorwürfe auch belegen können. Sonst ist das nichts weiter als Politik nach dem Opportunitätsprinzip.

Foto: Andrea Mayer-Edo, Lizenz: CC BY-SA 2.0

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