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Der Parteien-Kampf um das Internet

Der Parteien-Kampf um das Internet

Politische Parteien und politische Bewegungen entstehen immer entlang sogenannter “cleavages”, also gesellschaftlicher Konfliktlinien. Dies kann etwa der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Stadt und Land oder zwischen Arbeit und Kapital sein. Die Geschichte der Parteienlandschaft der Bundesrepublik Deutschland ist auch eine politische Kulturgeschichte der großen gesellschaftlichen Konflikte.

Mit der Wiedervereinigung war der letzte große gesellschaftliche Konflikt – der Umgang mit der Sowjetunion – erst einmal gelöst und die Parteienlandschaft wurde umso einförmiger, je mehr sich die großen Volksparteien (und heute auch die FDP und die Grünen) in die Mitte verlagerten. Die Gesellschaft war weniger polarisiert, aber auch unpolitischer. Der Widerstand gegen die Atomenergie war bis zum März diesen Jahres die einzig relevante gesellschaftliche Konfliktlinie in Deutschland.

Das könnte sich jetzt jedoch ändern. Die Frage, wie sich Politik und Gesellschaft gegenüber dem Internet positionieren hat das Potential, zu einem neuen “Parteien-Cleavage” zu werden. Auf heute.de beschrieb Lars Seefeldt gestern den “Kulturkampf” innerhalb der CDU zwischen Innenpolitikern wie Hans-Peter Uhl, die das Netz primär als Sicherheitsbedrohung sehen, und Abgeordneten wie Peter Tauber, die das Netz als Ort der Freiheit sehen. Ähnlich habe ich bereits im vergangenen Jahr auf carta.info über den “Kulturkampf” zwischen Bürger und Nerd geschrieben, die jeweils ein grundlegend unterschiedliches Staatsverständnis haben.

Einen ähnlichen Konflikt kann man in der Diskussion über Netzneutralität beobachten. Anfang Juli verabschiedete sich die Enquete-Kommission “Internet und Digitale Gesellschaft” im Streit in die Sommerpause, weil sich die Mitglieder nicht über das Thema Netzneutralität einigen konnten (hier ein Kommentar von Constanze Kurz zur berühmt-berüchtigten letzten Sitzung vor der Sommerpause). Und bei Spiegel Online wirft Ole Reißmann einen Blick in das Internet der Zukunft, in dem Staaten zum Schutz vor Hackern wieder “virtuelle Grenzkontrollen” eingerichtet und das Internet so in Länder-Netzwerke unterteilt haben.

Diese “Narrative” beschreiben eine gesellschaftliche Konfliktlinie, die sich wiederum in Partei-Manifeste überträgt. “Sicherheit” vs. “Freiheit” beziehungsweise “Internet” vs. “Deutschlandnetz” sind die beiden Pole in dieser Debatte. Auf der einen Seite stehen diejenigen Politiker und Bürger, die nicht akzeptieren wollen, dass das staatliche Hoheitsmonopol im Internet nicht durchsetzbar ist, dass deutsches Datenschutzrecht nicht für deutsche Mitglieder auf Facebook gilt, dass deutsche Rechtsradikale ihre Propaganda über ausländische Server verbreiten können.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die den wirtschaftlichen Freihhandel der 1990er Jahre nun auf die Gesellschaft übertragen möchten. Die Bürgern nicht verbieten wollen, Teile ihrer Privatsphäre gegen die kostenlose Nutzung von Internetdiensten zu tauschen. Die rechter Propaganda – wie der norwegische Premierminister Jens Stoltenberg – mit noch mehr Toleranz und Offenheit begegnen wollen.

Das Interessante an diesem neuen “cleavage” ist, dass er nicht zwischen den Parteien, sondern durch die Parteien hindurch verläuft. Am Beispiel der CDU sieht man dies derzeit besonders deutlich, aber auch die SPD vereint beide gesellschaftlichen Pole in ihrer Mitgliederbasis. Nicht ausgeschlossen, dass dieser innerparteiliche Konflikt auch zu Abspaltungen führt – obwohl ich denke, dass mittelfristig eher die kleineren Parteien wie die Grünen und die FDP von “Überläufern” profitieren werden.

Ob sich dieser “cleavage” tatsächlich in einem so starken Maße wie gerade beschrieben ausdrückt, ist noch nicht ganz ersichtlich. Das Mobilisierungspotential dieses Konflikts ist bislang erst in Ansätzen sichtbar und besteht in jedem Fall nicht in einer Mobilisierung der “Straße”, sondern in gezielteren Aktionen wie Mailings und Guerillakampagnen, aber auch politisch motivierten Hackerattacken durch Gruppen wie Anonymous und LulSec. Dennoch: gesellschaftliche Organisationen – von Parteien über Gewerkschaften bis hin zu Verbänden und NGOs – sollten sich fragen, auf welcher Seite sie in dieser Frage stehen wollen.

Foto: Vincent Diamante, Anonymous at Scientology in Los Angeles, Lizenz: CC BY-SA 2.0

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