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Ist die Politik zu langsam für den digitalen Wandel?

Ist die Politik zu langsam für den digitalen Wandel?

In seinem Bestseller “The Circle” beschreibt Dave Eggers, wie eine junge Frau durch ihre Arbeit für ein großes Internetunternehmen zu vollständiger Transparenz und damit zur totalen Kontrolle gedrängt wird. Am Ende schlägt sie selber vor, jeder Amerikaner solle einen Pflicht-Account bekommen weil ein Unternehmen wie ihres viel besser als die öffentliche Verwaltung in der Lage sei, Gesundheitsvorsorge, Sozialversicherung und andere staatliche Leistungen effizient zu erbringen.

Das Buch ist natürlich Fiktion, aber das vergangene Jahr hat deutlich gezeigt, dass die digitale und die reale Welt immer mehr miteinander verschmelzen: Plattformen wie Uber, Lyft oder AirBnB sorgen für eine bessere Nutzung knapper Ressourcen wie Mobilität und Wohnraum. Facebook hat 2014 Milliarden in den Kauf von Gesundheits-Startups wie Oculus gesteckt. Nichts repräsentiert diesen Wandel jedoch so sehr wie das selbstfahrende Auto, das bald auf allen Straßen fahren könnte.

Online und Offline verschwimmen und Grenzen werden obsolet

Die Trennung von Online und Offline ist aufgehoben. Und auch die Grenzen zwischen Nationalstaaten werden zunehmend obsolet. Wäre Facebook ein Staat, wäre es mit über 1,3 Milliarden Nutzern bereits heute der zweitgrößte Staat der Erde – nur knapp hinter der Volksrepublik China.

Die Politik hängt dieser Entwicklung immer noch hinterher. Aber auch umgekehrt beschäftigen sich viele Startup-Unternehmen lieber nicht mit Politik und wundern sich dann, wenn ihre Wettbewerber aus der realen Welt gegen sie mobilisieren.

In der Harvard Business Review haben die Google-Managerin Sarah Connor und der ehemalige US-Finanzminister Lawrence H. Summers den Unternehmen der Sharing Economy ein paar nützliche Tipps für das Lobbying mit auf den Weg gegeben. Unter anderem empfehlen sie, proaktiv auf die Politik zuzugehen um zu verhindern, dass Wettbewerber den Regulierungsrahmen bestimmen wie die Taxi-Branche im Fall von Uber.

Leben Politik und Internetwirtschaft in derselben Zeitzone?

Aber das Problem liegt tiefer. Es geht nicht alleine darum, ob Uber ein Taxi-Unternehmen oder eine Businessplattform ist. Es geht darum, ob politische Prozesse und die Internetwirtschaft überhaupt in derselben Zeitzone leben.

Beispiel StudiVZ: das Netzwerk wuchs seit 2005 schnell und kontinuierlich, bis die Politik auf das Unternehmen aufmerksam wurde. Weil StudiVZ greifbarer schien als Facebook, stand es im Zentrum der Debatte über Datenschutz in sozialen Netzwerken. Die Weiterentwicklung der Plattform stagnierte hingegen. Heute existiert das gute, datenschutzkonforme StudiVZ nicht mehr. Facebook hat dem einstigen Platzhirsch den Rang abgelaufen.

Das Problem sind nicht schlechte, sondern inflexible Gesetze

Natürlich sind Datenschutz und Regulierung wichtig, aber sie dürfen Innovation nicht behindern, wenn Deutschland den Anschluss an die Internetwirtschaft behalten will. Der amerikanische Journalist Fareed Zakaria formuliert den Anspruch an die Politik so: “Wir brauchen eine smarte Regulierung, die Platz für Innovationen lässt. (…) Das Problem mit Regulierung ist nicht, dass sie gut oder schlecht ist, sondern dass sie für immer gilt. Einmal beschlossen, formieren sich sofort Lobbies, die dafür sorgen, dass die Gesetze so bleiben und nur selten verändert oder wieder abgeschafft werden.”

Immerhin: fraktionsübergreifend haben progressive Abgeordnete wie der Vorsitzende des Ausschusses Digitale Agenda Jens Koeppen (CDU) und der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen Dieter Janecek (Grüne) erkannt, dass Regulierung nicht zum Innovationshindernis werden darf. Und auch der neue Digitalkommissar Günther Oettinger bekräftigte auf einer Veranstaltung Ende letzten Jahres in Berlin: “Wer Daten perfekt schützt, kann sie nicht mehr nutzen”. Ein Vertreter des Innenministeriums ergänzte, dass Datenschutz kein Selbstzweck sei, sondern dem Schutz von Persönlichkeitsrechten diene und dementsprechend ausgestaltet werden solle.

Wer erklärt der Politik die Internetwirtschaft?

Trotzdem bleibt die Beziehung zwischen Politik und Digitalwirtschaft kompliziert. “Die Geschwindigkeit von Innovation nimmt stetig zu und übertrifft die Fähigkeit der Regierung zu reagieren”, meint auch Steve Case, einer der Gründer von AOL.

In diesem Jahr sollten beide Seiten aufeinander zugehen: Startups müssen besser erklären, was sie machen und ihre Aversion gegen die Politik ablegen. “Die Internet-Stars von heute (…) sind genau so sehr damit beschäftigt, unsere Gesetze zu verändern wie die Technologie”, schrieb der Venture-Kapitalist Ron Klainvor Kurzem in einem Gastbeitrag für Fortune. Deutsche Startups sind noch nicht so weit.

Die Politik wiederum muss verstehen, dass die Welt der Internetökonomie nach anderen Regeln spielt als der gute alte “Brick and Mortar”-Kapitalismus. Und sie muss mehr technische Expertise entwickeln. Was nützt eine Internetbotschafterin wie Gesche Joost, wenn die Digitale Agenda der Bundesregierung komplett ohne ihren Input geschrieben wird?

Und vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn die Politik sich ein wenig vom Mindset der Startups abschaut. Welcher Partei gelingt es wohl am ehesten, mit einem Polit-Startup eine Brücke zwischen Stammtisch und dem Oberholz zu schlagen?

Dieser Artikel ist am 3. Januar 2015 auch in der Huffington Post Deutschland erschienen.

Foto: Mark, Lizenz: CC BY 2.0

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