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Große Koalition: ein Briefwechsel unter Genossen I

Große Koalition: ein Briefwechsel unter Genossen I

Die Mitglieder der SPD entscheiden Anfang Dezember, ob die Parteiführung den Auftrag erhalten soll, eine Regierung mit der CDU/CSU zu bilden. Die Große Koalition ist an der Basis umstritten, ob Sigmar Gabriel am Ende ein positives Ergebnis erhält ist mehr als unsicher. Im Wechsel mit Philipp Hoicke, der bis Ende Oktober Wissenschaftlicher Mitarbeiter des SPD-Abgeordneten Marco Bülow war, diskutiere ich in den kommenden Wochen das Für und Wieder der Großen Koalition. Die Antwort auf diesen Blogpost können Sie morgen auf philipp-hoicke.com lesen.

Lieber Philipp,

dass CDU/CSU und SPD nun über die Große Koalition verhandeln, kann eigentlich kaum überraschen. Schon Monate vor der Wahl war klar, dass eine Neuauflage von Rot-Grün kaum eine realistische Machtoption ist. In Umfragen vor und nach der Wahl sprachen sich sogar zwei Drittel der Befragten für eine Große Koalition aus.

Pikant für die SPD: während eine Mehrheit der SPD-Wähler eine Große Koalition befürwortet, ist eine Mehrheit der SPD-Mitglieder dagegen (und auch der Parteitag hat in dieser Hinsicht keine entscheidende Wende gebracht). Parteichef Gabriel ist also in einer Zwickmühle, auch wenn er sich bislang schlau anstellt und den Mitgliederentscheid geschickt als Trumpf in den Verhandlungen mit den Konservativen einsetzt.

Am Ende entscheidet also die Parteibasis. Und die Genossen stehen vor einer schweren Entscheidung. Stimmen sie für die Große Koalition, müssen sie akzeptieren, dass wichtige Teile des Wahlprogramms der SPD nicht umgesetzt werden. Und sie werden einige ungeliebte Projekte der Konservativen – von der Mütterrente bis zur PKW-Maut – mittragen müssen. Beide Vorhaben kosten Geld und haben keinen gesellschaftlichen Mehrwert – sie sind reine Symbol- und Interessenpolitik. Aber am Ende werden Gabriel und seine 192 Getreuen im Bundestag diese Maßnahmen verteidigen müssen.

Stimmen die Genossen jedoch gegen die Große Koalition, ist es noch schlimmer. Im TV-Duell hat Angela Merkel bereits angedeutet, was viele Medien wohl über die SPD schreiben werden, wenn die Basis den Koalitionsvertrag ablehnt: die Sozialdemokraten nehmen die Partei offensichtlich wichtiger als das Land – wie sonst könnten 500.000 Genossen ablehnen, was 40 Millionen Deutsche befürworten?

Am Ende würde die SPD wochenlang wieder nur über eins diskutieren: sich selbst. Für den ein oder anderen Genossen mag das ein Herzensthema sein und der Ortsverein Bochum Hamme wird wieder einmal im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehen. Aber nicht, weil dort so viele Visionäre über Deutschlands Zukunft nachdenken, sondern weil dort so viele Bedenkenträger daran arbeiten, die Zukunft noch ein paar Monate oder Jahre nach hinten zu verschieben.

Und es spricht auch ein realpolitisches Argument für eine Große Koalition: denn die Alternative ist entweder eine schwarz-grüne Koalition oder sogar Neuwahlen mit einer möglichen absoluten Mehrheit für die Kanzlerin. In beiden Fällen wäre der Einfluss der SPD auf die Regierung – null. Wenn es den Genossen also wirklich darum geht, sozialdemokratische Inhalte in einer Regierung durchzusetzen, können sie dabei weder auf die weitere Sozialdemokratisierung der CDU hoffen noch auf die verunsicherten und orientierungslosen Grünen. Sie müssen schon selber die Mühen der Ebene betreten und Regierungsverantwortung übernehmen.

Dein Daniel

Foto: Max Braun, Lizenz: CC BY-SA 2.0

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View Comments (3)
  • Die SPD ist vor allem unglaubwürdig. Es ist schon die zweite Bundestagswahl in kurzer Zeit mit einer Mehrheit für rot-rot-grün. Und dann kommt doch tatsächlich die Stellungnahme zu der Option mit der Linken “Ihr wart zwar immer das hässliche Entlein für uns, und jetzt auch wieder, aber in so und so vielen Jahren koalieren wir bestimmt mit Euch”! Was für eine dreiste Frechheit! SPD, Grüne, Die Linke – wer wollte behaupten, dass sie nicht alle drei eindeutig links sind und sie das von allen anderen Parlamentsparteien in Deutschland unterscheidet? Wo ist das Problem? Genauso unglaubwürdig sind die Grünen, wenn sie Bereitschaft zu Koalitionsverhandlungen mit der Union zeigen, aber sich zu Schade für die Linke sind. Kredit gut machen können sie beide erst, wenn sie sich klar von den Schröderschen und Fischers Errungenschaften distanzieren, die rotgrüne Regierung als das einräumen, was sie war, nämlich ein kolossaler Misserfolg – eine Kehrtwende tut Not. Und ich halte sie für wenig wahrscheinlich, denn sie fahren ja gut damit, so lange es auch die Bevölkerung akzeptiert, dass politische Analyse auf diese Weise geschieht. Es gibt Tabus der Niederträchtigkeit und Verlogenheit, die kaum jemand anrührt.

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