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Strategie ist keine Einbahnstraße!

Strategie ist keine Einbahnstraße!

Politik und Wirtschaft funktionieren nicht ohne Strategie. Deswegen gibt es eine ganze Reihe von Instrumenten wie der Spieltheorie (siehe “Merkel oder Rösler: wer ist das ‘Chicken’?”), der vom amerikanischen Geheimdienst entwickelten “Analysis of Competing Hypothesis”, der in Unternehmen oft angewandten SWOT-Analyse und natürlich eine Vielzahl von Büchern zum Thema.

Als “Königsdisziplin” der Strategie wird oft das Schachspiel genannt – dabei geht Schach von Bedingungen aus, die wir in der Realität eigentlich nie so vortreffen. Die Regeln des Spiels sind beiden Spielern bekannt und unveränderlich. Ein Sieg im Schach ist eindeutig und es gibt auch nur einen Weg, Sieger in diesem Duell zu werden. Darüber hinaus kennt ein Spieler nicht nur alle Spielpositionen des Gegner, sondern auch alle Optionen, die ihm zu jedem beliebigen Zeitpunkt des Spiels in Form eines Spielzugs offenstehen.

Und dennoch ist es einem Spieler in der Regel unmöglich, alle diese Informationen auszuwerten und auf dieser Basis ein “ideales” Spiel zu spielen. Nach den ersten paar Spielzügen steigt die Zahl der möglichen Züge und Folgezüge so schnell, dass ein Mensch kaum mehr abschätzen kann, welcher Zug der Beste in jeder beliebigen Situation ist. Die meisten Menschen entscheiden sich deswegen nach Baugefühl, wenn sie die Konsequenzen ihrer Entscheidung nicht vollständig abschätzen können.

Ein zweiter Punkt macht die Entwicklung einer erfolgreichen Strategie schwierig: nur selten ist die Zahl der Akteure auf zwei Spieler beschränkt wie im Schach-Spiel. In seinem Buch “Positive Linking – How Networks Can Revolutionise the World” beschreibt der britische Ökonom Paul Ormerod, welche Auswirkungen Netzwerkeffekte auf Politik und Wirtschaft haben können.

Dies zeigt sich insbesondere in Wirtschafts- und Finanzkrisen: nicht jeder Börsenschock führt zu einer ausgewachsenen Finanzkrise, aber manchmal entstehen Börsencrashs auch scheinbar aus dem Nichts – wie zum Beispiel am Schwarzen Montag 1987. Die Aktienkurse fielen damals um mehr als 20 Prozent – ohne das ein Grund dafür gefunden werden konnte.

Das liegt daran, dass unser Finanzsystem (wie auch alle anderen sozialen Systeme) sowohl stabil ist als auch fragil. Es ist stabil, weil es kleinere Schocks in der Regel gut absorbieren kann, zugleich aber auch fragil, weil dieselben kleinen Schocks sich eben manchmal blitzschnell durch das gesamte System verbreiten können. In unserem Verhalten, so Ormerod, orientieren wir uns oft an unseren Mitmenschen. Und obwohl die meisten Menschen relativ stabile Präferenzen haben, entsteht manchmal eben doch eine “kritische Masse”.

Für politische und wirtschaftliche Entscheider führt das zu einem Dilemma, denn der Erfolg eines neuen Produkts oder einer neuen Politik ist nur selten vorhersehbar, weil Netzwerkeffekte entweder gar nicht erst berücksichtigt werden oder weil sie so komplex sind, dass sie nur schwer beeinflusst werden können. Daraus folgt, dass Unternehmen sich bei ihrer Strategiebildung vor allen Dingen mit sich selbst beschäftigen und dabei so sehr auf eine bestimmte Strategie fokussiert sind, dass sie nicht rechtzeitig genng erkennen, wenn diese Strategie angepasst werden muss.

Um dieser Gefahr zu entgehen, müssen Parteien und Unternehmen “resiliente” Strategien entwickeln, die rasanten Veränderungen in der Umwelt standhalten und die leichter angepasst werden können. Die Leipzig Graduate School of Management hat dafür ein 360-Grad-Stakeholder-Feedback entwickelt, das systematisch die Positionen der relevanten Stakeholder in die Strategieentwicklung einbezieht.

Aber auch mit diesem System können “Schwarze Schwäne” – plötzliche und nicht vorhersehbare “Schocks” – nicht ausgeschlossen werden. Um mit diesen Risiken umzugehen, müssen Parteien und Unternehmen sich diversifizieren um neue Märkte und Zielgruppen zu erschließen.

So wie Stora, eines der ältesten Unternehmen der Welt. Die schwedische Kupfermine wurde 1288 erstmals urkundlich erwähnt und existiert noch heute. Jahrhundertelang lebte das Unternehmen von der Kupfergewinnung, aber um die Stollen zu sichern siedelten sich auch bald Forstbetriebe rund um die Mine an. Wegen der attraktiven Bedingungen auf diesem Markt wickelte Stora das Minengeschäft im Laufe der Zeit ab und ist heute der zweitgrößte Papierhersteller Europas. Widerstandsfähigkeit und Flexibilität sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren von Stora.

Gleiches gilt in der Politik: sollten sich die politischen Prognosen für die Bundestagswahl 2013 als stabil erweisen, wird es am 22. September keinem der Lager gelingen, eine Mehrheit im Bundestag hinter sich zu vereinen. Dann zählt nicht, welche Parteien die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, sondern welche Partei die meisten Optionen bzw. potentiellen Koalitionspartner hat (siehe “‘Borgen’: eine Blaupause für die Bundestagswahl”).

Ein erfolgreicher Stratege ist im 21. Jahrhundert kein genialer Einzelkämpfer und kein “Superhirn”, sondern ein emphatisches Wesen, dass soziales Verhalten verstehen und antizipieren kann – und der es versteht, die anderen Mitglieder seiner Organisation zu Teilhabern seiner Strategie werden zu lassen.

Foto: Geerd-Olaf Freyer, Lizenz: CC BY-SA 2.0

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