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“Geheimgutachten” schlägt neue Förderpolitik vor

“Geheimgutachten” schlägt neue Förderpolitik vor

Der Solidarpakt sei ein “perverses System, das keinerlei inhaltliche Rechtfertigung mehr hat” – mit diesen drastischen Worte machte Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) vor einigen Wochen von sich Reden. Statt Investitionen “nach Himmelsrichtung” zu verteilen, solle das Geld lieber nach Bedarf ausgegeben werden, wobei Sierau dabei natürlich vor allen Dingen die klammen Kommunen des Ruhrgebiets im Blick hat.

Auch ich habe diesen Vorschlag damals auf Twitter kommentiert und als eine “wichtige Debatte” bezeichnet:

https://twitter.com/#!/d_florian/status/182121815898992640

Natürlich steckt in der Initiative auch viel Wahlkampf, aber macht die grundsätzliche Idee, neu über die Förderpolitik in Deutschland nachzudenken nicht falsch.

Über dieses Thema nachgedacht hat auch Ulrich Blum, bis Ende 2011 Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) und Wirtschaftsprofessor an der Universität Halle-Wittenberg. Eine von ihm zusammen mit Kollegen erstellte Studie im Auftrag der Bundesregierung kam offensichtlich zu einem ähnlichen Ergebnis wie Ullrich Sierau, wurde allerdings von der Regierung als so brisant eingestuft, dass eine Veröffentlichung des Gutachtens verhindert wurde.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. März 2012 (kostenpflichtiges Archiv) spricht Blum jedoch über das Gutachten und zeichnet ein differenzierteres Bild der deutschen Förderpolitik. Zwar hätten die großen ostdeutschen Städte heute glänzende Fassaden, es fehlen allerdings Unternehmenssitze und damit Steuereinnahmen und Kaufkraft. “Selbst die ärmste Ruhrgebietskommune nimmt im Schnitt mehr Steuern ein als die erfolgreichste Stadt im Osten”, so Blum. Durch ein nicht ausbalanciertes Steuersystem und den zusätzlichen Absatz westdeutscher Unternehmen in Ostdeutschland würde Westdeutschland heute sogar an der Einheit verdienen.

In ihrem “Geheimgutachten” schlagen Blum und seine Kollegen daher vor, Ballungszentren stärker zu fördern und damit auch die Gründung und Entwicklung großer Konzerne in Ostdeutschland. So könnten auch hier langsam starke Industriestandorte entstehen und der Osten wäre nicht länger die “verlängerte Werkbank” des Westens. Ähnlich seien in den 1970er und1980er Jahren auch die baden-württembergischen Mittelständler gefördert und zu globalen Unternehmen aufgebaut worden.

Blum zufolge sei dies aber politisch nicht gewollt: “Es gibt im großen Teich der Ost-Förderung viele Fische, die sich mästen, darunter auch ganze Abteilungen in den Ministerien von Bund und Ländern. Wenn dort Veränderung droht, wie es unser Gutachten empfiehlt, hält man es lieber zurück.”

Dabei wäre es schade, wenn das milliardenschwere Thema Förderpolitik nicht mehr wäre als Wahlkampf-Folklore. Eine intelligentere Förderung würde vielleicht nicht automatisch den finanzschwachen Ruhrgebietsstädten helfen, sicherlich aber den Unternehmern und Arbeitnehmern in West- und Ostdeutschland.

Dieser Blogpost ist zuerst auf der Webseite thinktankdirectory.org erschienen.

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