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Amerikaner streiten über Politikwissenschaft

Amerikaner streiten über Politikwissenschaft

In der amerikanischen Blogosphäre ist während der Feiertage eine Debatte über den Sinn und Nutzen der Politikwissenschaft für die praktische Politik entstanden. Während die einen glauben, Politik sollte die politikwissenschaftliche Forschung stärker berücksichtigen, kritisieren die anderen die “Eierköpfe” im akademischen Elfenbeinturm, deren Forschung irrelevant für politische Entscheider sei.

Die Debatte ist natürlich nicht neu und wie die Autoren des Wissenschaftsblogs “The Monkey Cage” kann ich die Argumente beider Seiten nachvollziehen. Eine besonders kritische Position nimmt der Publizist Jacob Heilbrunn ein. Politische Entscheider sollten die Wissenschaft “wie die Pest” meiden, so Heilbrunn in der Zeitschrift The National Interest:

Should policymakers pay attention to academics? Should policy makers actually be academics? No and no. For the most part, policymakers should avoid them like the plague.

(…) I would say that SAIS, the Fletcher School, and other such finishing schools for foreign affairs mavens have supplanted traditional political science departments, which became enamored of game and rational-choice theory. The only truly serious discipline in political science is political theory – Aristotle to Weber to Rawls. Is there much in international relations, by the way, that has not already been discussed by Thucydides – a dip into the Sicilian Expedition might have served George W. Bush well before he headed into Iraq.

One telling sign of the decline of political science, with its pretensions to scientific accuracy, is that Fareed Zakaria, a student of Samuel Huntington, did not pursue a career in the academy. It simply wasn’t that attractive. Are the best and brightest attracted to political science in the first place? I would wager not.

Auch wenn Monkey-Cage-Autor Henry Farrell das letzte Argument nicht besonders überzeugend findet – es ist etwas Wahres dran: das spezifische Anreizsystem der Politikwissenschaft fördert nicht gerade eine praxisorientierte Forschung, die oft als sehr deskriptiv und wenig wissenschaftlich gilt. Wer oft (und vor allen Dingen öffentlich) berät, gilt in der Wissenschaft oft als oberflächlich oder gar eitel.

Andererseits bricht Farrell in seiner Replik auf Heilbrunn eine Lanze für eine umfassende Methodenausbildung in den Politikwissenschaften:

Nor, for that matter, are the intellectual consequences of game theoretic training as horrid as Jacob suggests. Certainly, there is a lot of inane work in political science that fetishizes game theoretic sophistication as an end in itself rather than as a means to an end. But there is also a lot of value in game theory.

Hier stimme ich Farrell voll zu. Spieltheoretiker wie Bruce Bueno de Mesquita haben erfolgreich gezeigt, wie komplexe mathematische Modelle zur Planung politischer Prozesse genutzt werden können. Meiner eigenen Erfahrung nach legen anglo-amerikanische Universitäten mehr Wert auf Methodentraining, was ein klarer Wettbewerbsvorteil gegenüber deutschen Universitäten ist.

Die Lösung für den Konflikt liegt vielleicht darin, politikwissenschaftliche Forschung und Politikberatung als voneinander getrennte Prozesse zu sehen: je weniger sich Forschung von der politischen Debatte beeinflussen lässt, desto verlässlicher die Ergebnisse. Umgekehrt ist es notwendig, auf der Basis dieser Forschung auch Strategien für die Beeinflussung der politischen Debatte zu entwickeln. Forschung und praktische Politik sind – so verstanden – eben nur zwei Seiten derselben Medaille.

Dieser Blogpost ist zuerst auf der Webseite thinktankdirectory.org erschienen.

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