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Brown, Berlusconi und die Krise der europäischen Demokratie

Brown, Berlusconi und die Krise der europäischen Demokratie

D wie Demokratie: Denkmal am Berliner Bundestag

D wie Demokratie: Denkmal am Berliner Bundestag. Foto: dersven, via flickr.com. Lizenz: Creative Commons

Die Finanzkrise sollte eigentlich das Comeback der Politik bedeuten. Endlich können die Staats- und Regierungschefs wieder regieren – und nicht bloß Standortpolitik betreiben! Inzwischen zeigt sich aber, dass die Politik selber in ganz Europa in einer Glaubwürdigkeits- und Legitimationskrise steckt.

In England hat Premierminister Brown wegen des Spesenskandals im Unterhaus innerhalb von nur wenigen Tagen sechs Minister verloren; in Italien ermittelt die Staatsanwaltschaft (mal wieder) gegen Premierminister Berlusconi. Währenddessen veröffentlichte die spanische Zeitung El País peinliche Partyfotos des italienischen Premiers. Auf den Foto ist auch der (ehemalige) tschechische Premier Topolanek zu sehen, nackt und mit erigiertem Glied – tiefer kann ein Politiker wohl kaum sinken. Die Affäre um die “schön faule” (Berliner Kurier) FDP-Spitzenkanidatin Silvana Koch-Mehrin scheint da geradezu harmlos zu sein.

Die genannten Skandale zeigen allerdings, dass sich die Demokratie europaweit in einer Krise befindet, aus der radikale Populisten als Sieger hervorgehen könnten. Wie kann die Politik das verloren gegangene Vertrauen wieder herstellen?

In einer groß angelegten Serie mit dem Titel “A New Politics” hat der Guardian mit prominenten Personen und seinen Lesern über Reformen des politischen Systems diskutiert. Mit einer am Ende der Artikelserie durchgeführten (nicht repräsentativen) Umfrage unter mehr als 5.000 Lesern hat die Zeitung herausgefunden, dass die Erwartungen der Studienteilnehmer an die Politik durchaus realistisch sind:

Only 14% identify the difficulty in removing bad individual MPs as one of the top three problems, while far more are worried about the sway of monied interests (43%), parliament’s inability to control the government (45%), and the way the party line strangles independent thought (45%). Voting reform could help tackle the last two of these, and it emerges as the overwhelming priority.

Die Menschen haben also (noch) nicht das Vertrauen in die Demokratie verloren, wohl aber das in die Regierungen. Daher brauchen wir einen neuen Gesellschaftsvertrag, der die Politik zur Transparenz verpflichtet, die Allgegenwart der Parteien aufbricht (auch wenn Parteien die wichtigsten Institutionen des Parlamentarismus bleiben werden) und der den Bürgern wieder eine Stimme gibt.

In den USA zeichnet sich schon eine Erneuerung des politischen Systems ab, durch die die Bürger wieder mehr Einfluss auf die Politik bekommen. Den Anfang machte Barack Obama in der “transition period”, während der Bürger ihre Vorschläge für Obamas Regierungsprogramm an den frischgewählten Präsidenten schicken konnten.

“Collaborative government” heißt dieses Prinzip, dass Carmen Sirianni in ihrem Buch “Investing in Democracy: Engaging Citizens in Collaborative Governance” beschreibt:

Rather than encourage citizens to engage in civic activity, government often puts obstacles in their way. Many agencies treat citizens as passive clients rather than as community members, overlooking their ability to mobilize assets and networks to solve problems. (…) Fortunately, growing numbers of policymakers across the country are figuring out how government can serve as a partner and catalyst for collaborative problem solving.

Auf lokaler Ebene gibt es schon seit über zehn Jahren Experimente mit “collaborative government”, aber Präsident Obama wendet dieses Prinzip erstmals auf nationaler Ebene an. So gründete er eigens einen 50 Millionen Dollar schweren Social Innovation Fund, mit dem erfolgreiche Pilotprojekte aus dem Sozial-, Gesundheits- oder Bildungswesen ausgebaut und weiterentwickelt werden sollen, damit sie vielleicht einmal auf nationaler Ebene implementiert werden können. Reformen, so die Idee des Funds, müssen nicht immer von oben kommen, sondern manchmal eben auch von unten.

In der Mitte der Finanzkrise brauchen wir eine handlungsfähige Demokratie. Deswegen sollte die Bundesregierung nicht nur Banken und Konzerne retten. In die Demokratie investieren – das sollte auch ganz oben auf der Agenda der nächsten Bundesregierung stehen.

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