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Das Unwissen der Experten

Das Unwissen der Experten

Nur allzugern schmücken sich die Gastgeber von Talkshows und die Herausgeber von Zeitungen und Magazinen mit Experten und Intellektuellen, die verständlich und in knappen Worten den Lauf der Welt erklären und einen Blick in die Zukunft wagen. Aber welche Aussagekraft haben solche Einschätzungen wirklich? Sind die Vorhersagen von Fachleuten zuverlässiger als die von aufmerksamen Zeitungslesern? Nein, meint der US-amerikanische Psychologe Philip Tetlock. In seinem Buch “Expert Political Judgment: How Good Is It? How Can We Know?”, das im New Yorker ausführlich besprochen wird, legt Tetlock dar, wie er zu dieser Einschätzung kommt.

Auf der Basis von 82.361 Vorhersagen von 284 bekannten Experten, zu deren Beruf die Einschätzung von politischen und ökonomischen Trends gehört, wies Tetlock nach, dass die “Trefferquote” der Befragten schlechter war als wenn sie per Zufallsprinzip die Wahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse beziffert hätten. Zudem war die Zuverlässigkeit der Vorhersagen von Fachleute auf einem bestimmten Wissensgebiet ähnlich hoch wie diejenige von Nichtfachleuten – der Wissensvorsprung führte also nicht zu einer höheren Genauigkeit der Vorhersagen.

Solche und ähnliche Studien gibt es bereits in großer Zahl. Tetlock erklärt darüber hinaus jedoch auch, warum Experten häufig falsch liegen: zum einen sind sie eher bereit, Trends zu glauben die ihrem (akademischen) Weltbild entsprechen; zum anderen tendieren sie dazu, diejenigen Szenarien für wahrscheinlicher zu halten, die wegen der Vielzahl der nötigen Variablen in der Realität eher unwahrscheinlich sind.

Dennoch gibt es leichte Unterschiede bei der Genauigkeit der Vorhersagen der befragten Experten. Diese hängen davon ab, ob ein Experte von seiner Mentalität her eher ein Igel (“hedgehog”) oder ein Fuchs (“fox”) sei:

Low scorers look like hedgehogs: thinkers who “know one big thing,” aggressively extend the explanatory reach of that one big thing into new domains, display bristly impatience with those who “do not get it,” and express considerable confidence that they are already pretty proficient forecasters, at least in the long term. High scorers look like foxes: thinkers who know many small things (tricks of their trade), are skeptical of grand schemes, see explanation and prediction not as deductive exercises but rather as exercises in flexible “ad hocery” that require stitching together diverse sources of information, and are rather diffident about their own forecasting prowess.

Für “Igel” wird der Lauf der Weltgeschichte durch “globale Kräfte” bestimmt, etwa die “balance of power” oder den “clash of civilisations”. Wegen dieses Hangs zur Dramatik sind “Igel” die großen Lieblinge aller Talkshows – in der Realität sind ihre Vorhersagen jedoch weniger zuverlässig als die der “Füchse”. Allerdings: wenn ein “Igel” richtig liegt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er einen tatsächlich spektakulären Trend entdeckt hat.

Für Think Tanker stellt sich also die Frage, ob sie sich als “Igel” oder als “Fuchs” sehen. Ruhm und Ehre werden eher dem “Igel” zuteil (zumal falsche Vorhersagen in der Regel “wegerklärt” werden können). Der “Fuchs” wird dagegen in vielen kleinen Dingen richtig liegen, aber vermutlich nie den Status eines “Universalgelehrten” erhalten. Vor allen Dingen sollte die eigene Expertise jedoch immer kritisch hinterfragt werden. Dazu gehört auch, stetig nachzuhalten, wie oft die eigenen Vorhersagen richtig lagen – und wie oft nicht.

Diese Rezension ist zuerst auf thinktankdirectory.org erschienen.

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