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Hinter der chinesischen Mauer: wer macht in China Politik?

Hinter der chinesischen Mauer: wer macht in China Politik?

In erstaunlicher Geschwindigkeit hat sich die Volksrepublik China in den letzten zehn Jahren eine einflussreiche Position in der internationalen Politik gesichert. Dennoch bleibt unser Bild von China eindimensional: eine dynamische Wirtschaft steht einem statischen politischen System gegenüber, so die gängige Meinung über China.

Dass diese Einschätzung der Volksrepublik nicht gerecht wird, zeigt Mark Leonard, Direktor des European Council on Foreign Relations und Autor des Buches “Warum Europa die Zukunft gehört” in seinem neuen Buch “What does China think”. Leonard selbst beschreibt sich dabei als “Sinologen aus Zufall”, der überrascht wurde von der Größe und Vielfalt der chinesischen Think-Tank-Szene. Tausende von Akademikern, die die kommunistische Partei in Fragen der Wirtschafts-, Außen- und Innenpolitik beraten – das passt nicht in das klassische Bild der “black box” Peking.

Und doch gibt es eine lebhafte Debatte über politische Steuerung und auch über Demokratisierung in China, die sich natürlich zum Teil erheblich von den Vorstellungen des Westens unterscheidet. Andes als die Länder Osteuropas oder Lateinamerikas folgte China nicht dem westlichen Modell der politischen Demokratisierung als Vorstufe einer marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern nahm den umgekehrten Weg – mit dem Erfolg, dass China seit 30 Jahren zweistellige Wachstumsraten vorweisen kann. Nun streiten sich aber auch in China die “Neue Rechte” und die “Neue Linke”, wie der neue Reichtum Chinas verteilt werden soll.

Auch politisch versucht die KP China, ihre Herrschaft durch erste Experimente mit demokratischen Prozessen zu legitimieren. Im Zentrum stehen dabei jedoch keine nationalen Wahlen in einem Mehrparteiensystem, sondern Bürgermeisterwahlen auf kommunaler Ebene, mehr innerparteilichen Wettbewerb und Instrumente deliberativer Beteiligung einfacher Bürger durch Planungszellen oder Meinungsumfragen. Auch Wissenschaftler spielen dabei eine wichtige Rolle (siehe “Die Intellektuellen haben vom Aufstieg Chinas profitiert”, September 2007). Am Ende könnte dabei eine hochtechnologisierte “deliberative Diktatur” stehen, in der es zwar keine nationalen Wahlen gibt, die Regierung aber dennoch auf die Wünsche ihrer Bürger reagiert, durch Gesetze gebunden und dadurch auch relativ stabil ist.

Außenpolitisch hat die Volksrepublik ihren revolutionären Anspruch fallen gelassen und tritt statt dessen für einen multilateralen Politikansatz auf der Basis der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten ein. Kern dieses Ansatzes ist ein Modell der “kooperativen Sicherheitspolitik” und die Gründung von neuen regionalen Institutionen, die in Konkurrenz zu EU, OSZE, NATO und anderen Organisationen des “Washington Consensus” treten. In Asien, aber auch darüber hinaus, entsteht bereits der neue “Beijing Consesus” und gewinnt immer neue Anhänger (siehe dazu auch Joshua Kurlantzicks Buch “Charm Offensive: How China’s Soft Power Is Transforming the World”).

Die vergangenen 30 Jahre politischer und wirtschaftlicher Reform in China, so Leonard in seinem Schlusskapitel, seien auf die Integration Chinas in die Welt ausgerichtet wesen. In den kommenden dreißig Jahre werde China versuchen, die Welt nach seinen Maßen neu zu ordnen. Auf eindrucksvolle Art und Weise zeigt Leonard, wie die Welt aus chinesischer Perspektive aussieht und bietet einen spannenden Einblick in die Dynamik der politischen Debatte in der Volksrepublik.

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